Jim Kent, Programmierer aus Leidenschaft

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Sympathisch, lässig, pfiffig: Jim Kent

Jim Kent, einer der besten Grafikprogrammierer für den Atari ST und den Amiga standardisierte mit seinem Anim-Standard nicht nur die Animationsdateien für den Amiga, sondern setzte mit seinen Programmen einen bisher unerreichten Level. Seine bekanntesten Programme für den Atari ST sind Aegis Animator und Cyber Paint. Wir besuchten Jim Kent in seiner Heimatstadt San Francisco. Kenner sagen, San Francisco hat nur einen Nachteil: die Trennung davon fällt schwer. Wer Jims Wohnung sucht und deshalb die sechzehnte Avenue hinauffährt - von ihr zweigt die Fare Oak ab - kann diese Worte unterstreichen. Für uns undenkbar, weist sie mitten in der Stadt unglaubliche Steigungen und Gefälle auf. Kleine Häuser, schön wie aus dem Bilderbuch, säumen eine lange, schnurgerade Straße. In der Mitte getrennt durch eine schier endlos scheinende Palmenreihe. Genau solche Bilder zieren Kitschpostkarten, denkt man unwillkürlich, nur - hier ist es Wirklichkeit.

In dieser Idylle wohnt Jim Kent, ein junger Mann, der nicht Programme wegen des schnöden Mammons schreibt, sondern weil ihn Computer und vor allem Grafik schon immer faszinierten.
Als ich nach etwas Suchen seine Adresse gefunden habe, wird auf mein Klingeln sofort geöffnet. Ich steige eine steile Holztreppe nach oben. Dort wartet ein junger Mann. Seine langen dunklen Haare und der wild wuchernde Vollbart lassen ihn sofort als Programmierfreak erkennen. Etwas unbeholfen streckt er mir seine Hand entgegen: »Hallo, ich bin Jim.« Jim legt keinen Wert auf Publicity-Rummel. Er ist nicht der weltgewandte Karrieretyp, der gerne im Rampenlicht stehen möchte. Es war auch nicht so einfach ihn zu besuchen. Alles was er möchte, ist programmieren. Daß er dadurch zum Guru für eine nicht kleine Fan-Gemeinde wurde, macht ihn eher verlegen.
Mich erwartet eine kleine Wohnung. Wie es sich für ein Genie gehört, unaufgeräumt. Sein Mega ST steht auf einem Obstkarton. Aufgeschlagene Bücher und Unterlagen liegen auf dem Boden verstreut.
Seine Computerlaufbahn begann auf der High-School. Nach seinem ersten Kontakt mit einem Computer entschloß er sich sofort, sich einen zu kaufen. Die Computerei an der HighSchool machte keinen Spaß. Die Eingabe über Lochkarten war langwierig. Auch daß er nicht selbst an den Computer durfte, störte ihn sehr. Also erstand er einen Tandy 609 Color. Dessen Leistung lag weit hinter der eines heute wesentlich preiswerteren Atari ST zurück. Jim muß lachen, als er an diesen Computer denkt. Oberhaupt lächelt er viel. So stellt man sich einen offenen, überaus liebenswerten Kalifornier vor.
Die erste Programmiersprache - Basic - machte schnell die sagenhaften Fähigkeiten eines Computers deutlich, zeigte aber auch Grenzen, die man mit einer anderen Sprache öffnen konnte. Er wollte mehr herausholen. Deshalb mußte seine nächste Programmiersprache Assembler sein. Das erste richtige Programm in dieser schnellsten, aber auch schwierigsten Sprache war eine Variante von »Game of Life«.
Sein Weg war durch die Faszination, die Computer und vor allem Grafik auf ihn ausüben, vorgezeichnet. Nach seiner Studienzeit fing er bei einer Firma hier in der Bay Area (unter Eingeweihten: der Einzugsbereich, der Bucht von San Francisco) in Santa Cruz als Programmierer für Grafik-Workstations an.
Da drängt sich sofort eine Frage auf.- Sind seine heutigen Programme an diese Profiprogramme angelehnt? Beschert uns Jim Kent Software, deren Kosten die eines Mittelklassewagens bei weitem übersteigen, zu Atari-Preisen?
Seine Antwort: »Nur zum Teil. Ich versuchte in Aegis Animator und besonders bei Cyber Paint 2.0 eine Menge an Funktionen zu integrieren, die auch bei solchen Geräten verfügbar sind. Die Bedienung unterscheidet sich wesentlich. Sie ist bei meinen Programmen viel einfacher und komfortabler.«
Daß Jim Kents Programme aus Leidenschaft entstanden, unterstreicht dieser Satz: »Was es bisher an Animationsprogrammen gab, gefiel mir einfach nicht, da entwickelte ich eben selbst welche.«

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Genauso sieht er es auch bei der Wahl seiner Computer. Angesteckt von der Euphorie, die neue Computer auslösen durch ihre bisher unerreichten Leistungsdaten schrieb er seine Programme nicht für den wesentlich mehr verkauften C 64 oder IBM-kompatible Computer, sondern für den Atari ST und Commodore Amiga. Zwei Computer, deren Marktbedeutung in den USA noch nicht ihrer Leistung entspricht. Welcher Computer folgt? Vielleicht der Abaq, die Transputer-Workstation von Atari? Bei einer so schnellen Grafikmaschine muß doch das Herz eines Programmierers höher schlagen. Er ist skeptisch: »Wenn ich mir das Betriebssystem des Amiga und die Bugs (Programmierer-Ausdruck für Fehler, d. Red.) anschaue, dann warte ich erstmal ab.« Amiga-DOS und Helios stammen beide aus der Feder eines Mannes, Dr. Tim King, ehemals Chefentwickler bei Metacomco.
Aber was uns viel mehr interessiert: Jim Kent entwickelte auf dem Atari ST und Amiga. Welchen bevorzugt er?
»Also beide sind toll. Ich mag sie, sonst hätte ich nicht meine Programme darauf entwickelt. Als Programmierer ist mir der ST lieber.«
Warum?
»Sein Betriebssystem ist wesentlicher einfacher zu durchschauen. Bei Amiga- DOS kann ich manchmal nur die Augen verdrehen.«
Manche seiner Routinen lassen selbst gewiefte Programmier staunen. Zum Beispiel in Cyber Paint die Routine, um Bilder stufenlos zu drehen. Kein anderes Programm schafft das so schnell.
»Das ist richtig. Ja, die ist wirklich gut. Das ist die beste Routine, die ich bisher geschrieben habe und die schwierigste. Der Witz dabei: Sie ist eigentlich ganz einfach.«
»Welche Programmiersprachen benutzt Du?«
»Für diese Routine kannst Du nur eine Sprache benutzen: Assembler. Sonst schreibe ich viel in C. Bei manchen Sachen kommt's aber auf jeden Taktzyklus an, das geht nur in Assembler. Aber zum Beispiel die Benutzeroberfläche. Ob die in C oder Assembler geschrieben ist, merkt der Benutzer nicht. Es wäre dumm sich die viele Arbeit zu machen und alles in Assembler zu schreiben.« Natürlich interessiert uns auch, welche Compiler und Assembler Jim für seine Arbeit verwendet.
»Früher habe ich einiges mit Megamax-C gemacht. Seit kurzem benutze ich den Aztec-C-Compiler.«
»Und welchen Assembler verwendest Du?«
»Einen selbstentwickelten.«
Auf die verblüffte Frage, ob er ihn nicht verkauft, kommt beinahe etwas verlegen die Antwort: »Aztec vertreibt ihn mit dem C-Compiler.«
»Jim, was planst Du für die Zukunft?«
»Vielleicht programmiere ich Cyber Paint 3.0. Musik interessiert mich auch. Aus dem Soundchip des ST könnte man noch eine ganze Menge rausholen. Ein Animationsprogramm, das gleichzeitig tollen Sound spielt, reizt mich. Ich programmiere es vielleicht für den ST. Dort gibt's so etwas noch nicht. Eventuell steige ich auf einen anderen Computer um, den es heute noch gar nicht gibt. Nein, ich habe keine festen Pläne. Was mir Spaß macht, werde ich tun.«
Genauso wie es schon der Grafik-Guru Dale Luck des Amiga tat, so veröffentlicht auch Jim Kent zwei seiner Routinen. Die erste packt Bilder nach der Delta-Methode. Es speichert nur die Änderungen zum ersten Bild. Die zweite Routine spielt diese gepackten Bilder ab. Diese Routinen stammen aus dem Programm Cyber Paint.

Horst Brandl



Aus: ST-Magazin 08 / 1988, Seite 17

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