Woran erkennt man den typischen Benutzer einer wohlgefüllten ST-Festplattenstation? Richtig geraten! Diese bedauernswerten Zeitgenossen besitzen als charakteristisches Erkennungsmerkmal abgeflachte Spitzen an den Fingern der mausführenden Hand. Wie aus jüngsten Erkenntnissen der computerspezifischen Arbeitsmedizin unbezweifelbar hervorgeht, treten solche anatomischen Verformungen gehäuft unter Patienten aus der ST-Gemeinde auf. Leider konnten die ratlosen Ärzte bisher noch keine Ursache für dieses Phänomen ausmachen, geschweige denn, eine heilende Kur für die chronische Erkrankung des senso-motorischen Greifwerkzeuges der Atarianer entwerfen.
Langjährige »Festplattenstapler« mit einschlägiger ST-Praxis dagegen kennen den Grund für die Fingerverkürzung schon lange: Seit den Zeiten des heulenden Derwisch SH204 wartete man mit nervösem Fingerklopfen auf dem Mausrücken darauf, ob das Betriebssystem sich endlich entscheiden könne, in welche Sektoren auf welchen Spuren es denn nun die eingespeiste Datei zu verewigen gedenke. Die freundlich blinzelnde Betriebsanzeige der Festplattenstation hat auch dem Autor dieser Zeilen schon manche Nachtminute mit warmem Licht erleuchtet.
Doch seit der CeBIT ’88 ist es vorbei mit den GEM-DOS-residenten Erholungspausen von der anstrengenden Computerarbeit. Aufmerksame Messebesucher entdeckten auf den Monitoren der Softwareanbieter beim Booten der diversen ST-Systeme die bislang unbekannte Einschaltmeldung »TURBODOS resident (1.05) ATARI FRANCE & Dominique LAURENT, 3 Mars 1988«. Also ein Floppy-Beschleuniger aus der Produktion unserer eher als Käse- und Wein-Experten denn als Erzeuger von aufsehenerregender ST-Software bekannten französischen Nachbarn?
Bei genauerer Beobachtung fiel jedoch eine erstaunliche Beschleunigung vieler Festplattenoperationen ins Auge. Das Kopieren von Dateien oder das Aufrufen der Partition-Information ließen einen Beschleunigungsfaktor zwischen 3 und 4 vermuten. Neugierige Nachfragen bei Atari Deutschland brachten des Rätsels Lösung an den Tag.
»TURBODOS.PRG«, eine genau 24000 Byte lange Datei, stellt nichts weniger dar als ein komplett neu programmiertes GEM-DOS.
GEM-DOS ist ein Teil des ST-Betriebssystems TOS, der die Verwaltung der externen Massenspeicher wie Disketten- und Festplattenstationen regelt. Die Routinen des Original-GEM-DOS reichen zwar zum Betrieb der Diskettenlaufwerke aus, sind aber nicht auf große Massenspeicher wie Festplattenstationen ausgerichtet. Besonders die Verwaltung der sogenannten FAT (File Allocation Table = Tabelle der freien und durch Dateien belegten Sektoren) erfordert beim Schreiben zahlreiche Zugriffe auf die FAT. Auch die Auswertung der FAT-Informa-tionen läuft zu langsam ab.
Die Auswirkungen der geschilderten Probleme sind sattsam bekannt. Das Schreiben einer längeren Datei auf eine fast volle Festplattenpartition nimmt gelegentlich mehr Zeit in Anspruch, als das Schreiben derselben Datei auf eine Diskette. Dateiweises Restaurieren einer 10 MByte großen Partition mit vielen Ordnern und Dateien von einem schnellen Streamer dauert knapp eine Stunde. Bisherige Versuche, die Probleme durch intelligente Cacheing-Software zu lösen, führten nur zu Teilerfolgen. Ein fast klassisches Beispiel: Das Errechnen einer Partition-Information läuft auch dann nicht wesentlich schneller ab, wenn die gesamte FAT im Cache-Speicher vorliegt.
Damit war eigentlich klar, daß das Übel nur an der Wurzel — sprich: durch eine Neuprogrammierung des GEM-DOS — auszurotten war. Um so enttäuschender dann das Blitter-TOS Mitte 1987! Außer einer merkbaren Beschleunigung der Schreib- und Lesezugriffe im Dateiverkehr nichts Epochales aus Sunnyvale. Die BetriebsLED blinkte lustig weiter beim Schreiben in eine fast gefüllte Partition, die Finger tromm... Ach ja, das sagten wir ja schon.
Um so überraschender der Zeitpunkt und vor allem die Herkunft der durchgreifenden GEM-DOS-Kur! Dank Dominique Laurent und der französischen Atari-Tochter gehört das unsägliche Festplatten-Elend der Vergangenheit an. Noch auf der CeBIT hat Atari Deutschland das französische Turbo-DOS freigegeben. Besitzer einer Atari-Festplattenstation können das Programm bei ihrem Händler kopieren oder aus der Atari-Mailbox »downloaden«.
Das für ST-Verhältnisse sensationelle Turbo-DOS installiert sich nach dem Laden — am besten aus einem AUTO-Ordner — im ST-RAM und biegt den Hardware-Vektor $84, über den alle Trap # 1-Aufrufe abgewickelt werden, auf seine Startadresse um. Infolgedessen laufen alle GEM-DOS-Aufrufe nicht mehr über die ROM-residenten Routinen des TOS, sondern über die optimierten Turbo-DOS-Unterprogramme im RAM. Theoretisch sollten damit alle ST-Programme lauffähig sein, die GEM-DOS-Funktionen über Trap # 1 aufrufen. Obwohl die Zeit für einen umfassenden Test noch zu kurz war, sind in knapp einem Monat täglicher Benutzung von einer, allerdings besonders fatalen Ausnahme abgesehen, keine Probleme aufgetreten.
Die fatale Ausnahme betrifft den Mischbetrieb von Turbo-DOS mit einigen RAM-Disk-Programmen, besonders solche der Reset-festen Unterart. Neben dem Überschreiben von RAM-Disk-FATs sind uns mehrere Fälle bekannt, bei denen auch die FAT- oder die Directory-Sektoren auf der Festplatte zerstört worden sind. Namentlich eine in unserer Redaktion benutzte Vorversion der hervorragenden Flexdisk von Application Systems Heidelberg bereitete diese Probleme. Seien Sie also der Datensicherheit zuliebe vorsichtig mit resetfesten RAM-Disks (beziehungsweise allen RAM-Disks), wenn Sie Turbo-DOS benutzen.
Einer weiteren Beschleunigung des Datenverkehrs unter Turbo-DOS dienen die statischen Cache-Speicher für die FATs von Diskette (4 KByte) und Festplatte (40 KByte). Darüber hinaus arbeitet der Turbo-DOS-ST mit einem dynamischen Cache-Speicher von 20 KByte (ST mit 512 KByte RAM) beziehungsweise 40 KByte (STs ab 1 MByte RAM). Der gesamte Speicherbedarf beträgt je nach Hardware-Konfiguration zwischen 28 KByte (520 ST ohne Festplattenstation) und 108 KByte (ab 1040 ST mit 20-MByte-Festplattenstation SH204/SH205).
Turbo-DOS kommt auch mit größeren Festplatten und einigen Geräten von Fremdherstellern gut zurecht. Wir testeten eine 40-MByte-Platte der Firma Xebec und einen Prototyp-Aufbau der neuen Atari-Wechselplattenstation mit einem 44-Byte-SyQuest-Laufwerk (Test in dieser Ausgabe). Aus Kreisen von Software-Entwicklern kam die Nachricht, daß Festplatten und Treibersoftware der Firma Vortex noch nicht mit Turbo-DOS harmonieren. Es ist zu hoffen (und zu erwarten), daß auch Vortex seine Kunden bald an den Segnungen des neuen Festplattenzeitalters teilnehmen läßt.
Kopierzeiten mit GEMDOS und TURBODOS | ||
Speicheroperation | GEMDOS | TURBODOS |
Kopieren Partition in leere Partition 6 Ordner (72 Dateien, 1,2 MB) | 170 s | 67s |
8 Ordner (239 Dateien, 2,9 MB) | 818 s | 243 s |
15 Ordner (401 Dateien, 4,1 MB) | 1585 s | 432 s |
Kopieren Partition in eine Partition mit 4 MB 4 Ordner (114 Dateien, 0,64 MB) | 903 s | 283 s |
Löschen einer Partition 4,8 MB | 170 s | 87s |
Kopieren Partition aui doppelseitige Diskette 4 Ordner (114 Dateien, 0,64 MB) | 1053 s | 583 s |
Kopieren doppelseitige Diskette in leere Partition | ||
4 Ordner (114 Dateien, 0,64 MB) | 363 s | 225 s |
Kopieren doppelseitige Diskette in Partition mit 2,2 MB 4 Ordner (114 Dateien, 0,64 MB) | 762 s | 257 s |
Turbo-DOS beschleunigt also die Datenübertragung vom ST zu seinen Massenspeichern in erheblichem Maße. Die in den Tabellen und Abbildungen dieses Artikels wiedergegebenen Meßwerte haben wir einer ausführlichen Dokumentation des Entwicklers Dominique Laurent entnommen. Das als Vergleich herangezogene GEM-DOS stammt aus dem französischen TOS vom 22.4.1987. Bei der Auswahl der Meßwerte war uns Alfred Scherff, der Systemsoftware-Experte aus der Raunheimer Atari-Zentrale behilflich. Im Mittel beträgt der Beschleunigungsfaktor 1,5fach beim Diskettenbetrieb und 3 bis 4fach bei der Arbeit mit der Festplattenstation. Dabei ist zu beachten, daß die Zeitvorteile mit zunehmender Partitionbelegung zunehmen.
Über die so außerordentlich erfreuliche Beschleunigung der Arbeit mit externen Massenspeichern hinaus ist es Dominique Laurent nach eigenen Aussagen gelungen, mindestens zehn Fehler im alten GEM-DOS zu lokalisieren und in seinem Turbo-DOS auszumerzen. Dazu gehören unter anderem die Unzulänglichkeiten der Ordner-Stackverwaltung, die berüchtigte 40-Ordner-Krankheit und einige gelegentlich auftretende Media-Change-(Diskettenwechsel)-Probleme. Ein (zwangsläufiger) Dauertest in der Redaktion-und bei Ihnen, lieber Leser, liefert sicherlich bald umfassendere Informationen über die endgültige Leistungsfähigkeit von Turbo-DOS und eventuelle Kompatibilitätsprobleme mit anderen Programmen.
(W. Fastenrath/H. Brandl)