Editorial - Gesucht: Kopf und Herz

Ich habe die Mogelpackungen satt

In den letzten Jahren hat es in der Computerwelt viele neue Eindrücke gegeben, und das Jahr 2002 verspricht hier keine Ausnahme zu machen. Die „großen“ kommerziellen Betriebssysteme Windows und Mac OS haben Nachfahren bekommen, dessen Vorzüge durch ausgeklügelte Werbestrategien auch dem letzten Hinterwäldler eingetrommelt werden sollten. Die Sympathieverteilung hat dabei zu etwas ungerechten Auswüchsen geführt. Während Apple eigentlich nichts weiter machte, als endlich ein stabiles und wirklich multitaskingfähiges Betriebssystem ohne elementar neue Ansätze vorzustellen und für Selbstverständlichkeiten in den Himmel gelobt wurde, ernteten wirklich neue Benutzungskonzepte bei Microsofts Windows XP nur allzu wenig Aufmerksamkeit, da diese in der teilweise berechtigten Aufregung über Ausspionierung und Sicherheitslücken fast gänzlich untergingen.

In diesen Tagen hat Apple einen Nachfolger seines erfolgreichen iMac vorgestellt, einem Rechner, der vor fast 4 Jahren für etwas gesorgt hat, was neudeutsch als „Hype“ bezeichnet wird. Ob die scherzhaft als „Stehlampe“ bezeichnete Konstruktion diesen Erfolg wiederholen kann, bleibt bei nicht unerheblichen Preisen fraglich, zumal die GHz-Grenze, die der PC schon lange belächelt, bei Apple immer noch nicht überschritten ist. Die Diskussion über die „MHz-Lüge“ ist müßig, denn der Käufer wird immer nach den blanken Daten auf dem Papier entscheiden. Der Mac-Hersteller aus Kalifornien setzt etwas anderes dagegen: auffälliges Design und damit den Anschein der Innovation.

Letztendlich trifft aber auf Apple derselbe Vorwurf zu, den die eingeschworene Fanschar berechtigterweise schon lange den PC-Anwendern macht: im Grunde werden Mogelpackungen verkauft. Beim PC werden nur immer wieder die Pferdestärken nach oben geschraubt, beim Mac wird die Verpackung geändert. Aber je frustrierter ich die geradezu endlosen Bootphasen eines neuen, superschicken Mac OS X oder eines Windows XP betrachte, umso mehr Sehnsucht habe ich nach echter Innovation: nach Computern, die wieder 2 Sekunden nach dem Einschalten benutzbar sind, nach Programmen, die schlank und elegant sind und ihre Daten nicht quer über die Festplatte verstreuen. Ich möchte wieder einen Computer haben, der Kopf und Herz überzeugt. Eigentlich sehne ich mich wieder nach einem Atari...


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 02 / 2002, Seite 5

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