Editorial - Ein Standard-OS für Synthesizer

Was man mit Ataris Betriebssystem heute noch anfangen könnte

Vielleicht hatten auch Sie Ihren ersten Kontakt mit dem Atari, als Sie ihr Keyboard oder ihren Synthesizer um einen leistungsfähigen Sequenzer ergänzen wollten. Bis Mitte der 90er Jahre führte in dieser Disziplin nahezu kein Weg am ST, STE, TT oder Falcon vorbei. Die Maschinen waren (sind) für nahezu alle MIDI-Anwendungen ausreichend schnell, unkompliziert zu handhaben, kompakt und zuverlässig. Hinzu kam ein Betriebssystem, das ebenso übersichtlich wie einfach zu bedienen war. Der TOS-Desktop eines typischen Studio-Ataris bestand selten aus mehr Bestandteilen als zwei Diskettensymbolen und einem Papierkorb.

Und so wuchs eine ganze Generation von MIDI-Musikern vor dem grauen 12-Zöller auf und verdarb sich nicht einmal die Augen daran. Im Mittelpunkt der Arbeit stand die Produktivität. Der Atari wurde als Mittel zum Zweck benutzt - und dies ist sicher ein Kompliment, denn der Computer soll ein dienstbereiter und unauffällig agierender Helfer sein und sich nicht bei den eigentlichen Arbeiten durch seine Komplexität in den Vordergrund drängen. Und genau diese Unkompliziertheit gefiel und gefällt Musikern am Atari. Ich habe noch nie einen Keyboarder meckern hören, dass ihm die Oberfläche seines ST zu schnöde sei und die Funktionen keine schicken 3D-Effekte böten.

Synthesizer und Effektgeräte lassen sich dagegen bis heute nicht annähernd so einfach wie ein Atari bedienen. Wer Sounds programmieren oder gar den internen Sequenzer eines topmodernen Synths bedienen möchte, wird auch als technikbegeisterter Computeranwender schnell an den Rand seiner Geduld geführt. Über mehrfach belegte Knopfreihen drückt sich der angehende Kreative durch schier unendliche Menüs. Keine „Oberfläche" scheint der anderen zu gleichen.

Dabei gibt es eigentlich ein einfaches System, das dazu noch allen MIDI-Musikern immer noch bekannt sein dürfte: eben das TOS des Atari. Zwar kann das Single-TOS im Gegensatz zu seinen Nachfolgern MagiC und N.AES im Desktop-Bereich niemanden mehr hinter dem Ofen hervor locken, im Gegensatz zu den Betriebssystemen diverser Synthesizer ist es jedoch nach wie vor ein Traum. Und im Zuge leistungsfähiger LC-Displays sollte es kein Problem sein, 12-Zoll-Displays in heutige Synthies einzusetzen. Ergänzt mit einem Pad zur Steuerung der Maus könnte somit das allseits bekannte und geliebte TOS als Standard-Oberfläche von Keyboards herhalten- wohlbekannt und auf jedem Synth wiedererkennbar. Und jedes Gerät könnte jederzeit durch leistungsfähige bereits vorhandene nachladbare Sequenzer und Soundeditoren ergänzt werden. Schnell, einfach, wiedererkennbar und kompakt - der gestresste MIDI-Mucker würde es danken und so manchen PC oder Mac vergessen.


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 06 / 2001, Seite 5

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