Prozessorgeflüster

Timo Schöler beobachtet für Sie die aktuellen Entwicklungen aus der bunten und zum Teil verrückten Prozessorwelt.

Wie kommen wir noch aus dem Prozessorloch?

Seit einiger Zeit verwenden die Prozessorhersteller Kupfer in ihren Chips; nun wird Kupfer nebst anderen Faktoren Motorola und IBM helfen, die vielerorts zitierte "G4-Wüste" zu durchqueren. Schon in früheren G3-Versionen, im Pentium III sowie in fast allen aktuellen Prozessoren wird mittlerweile Kupfer an Stelle von Aluminium für die leitenden Elemente eingesetzt - was beinahe profan klingt, galt als große Herausforderung, da Kupfer schwierig im Herstellungsprozess zu handhaben ist.

Am 11. Dezember des vergangenen Jahres stellte IBM nun offiziell ihren 0.13um Fertigungsprozess CMOS 9S vor, welcher nicht nur Kupfer, sondern auch andere Feinheiten wie Silicon-on-lnsulator (hiermit kann man verlustärmere Transistoren herstellen) und Low-K-Dielektrika (ermöglicht eine kapazitätsärmere Isolierung als bisher) implementiert. Mit CMOS 9S hat IBM nach eigenen Verlautbarungen das Potential, Prozessoren bis zu 10 GHz hinauf herstellen zu können und ist damit - wohl nicht ohne reflexives Schulterklopfen - der Konkurrenz "zwei bis drei Jahre zuvor". Dieses Technik-Konglomerat ist der zweite Schritt in die Richtung, welche der PPC-Markt zur Zeit am nötigsten hat: höhere Taktfrequenzen. Ein klein wenig Ursachenforschung ist hierfür allerdings nötig.

Status quo: Intel wird in wenigen Wochen die Marketing-Maschine für den Pentium 4 anschmeißen, sodass sich niemand mehr vor dem "Gigahertz-Gesülze" retten kann. Seit jeher ist Intel auf Zahlenspiele versessen, welche dem Verbraucher falsche Tatsachen vorgaukeln. Man denke an die seligen Werbekampagnen Anfang der 90er Jahre, in welchen der 486er beworben wurde. "4 ist mehr als 3", hieß es damals, als man den Leuten klarmachen wollte, dass sie ihre 386er zu ent-sorgen hatten (und AMD schon damals ein Bombengeschäft mit schnellen 386ern machte).

Zudem impfte man die Verbraucher dahingehend, dass die Anzahl der Megahertz einfach alles sei. Leider lassen dieses Spiel viel zu viele Anwender mit sich spielen, doch es ist schlicht und ergreifend falsch. Eine Analogie aus dem Alltag wäre, dass Nachbar Harrys Manta zwar 7200 Umdrehungen die Minute dreht, trotz alledem bin ich mit meiner Corvette und deren Small Block mit maximal 3800 Umdrehungen eine ganze Ecke fixer unterwegs (hier stehen dann 2 Liter gegen 5.7 Liter Hubraum - wie bei Pentium 4 gegen die PowerPCs) ... Man könnte schadlos behaupten, dass sich sämtliche RISC-Prozessorhersteller in einer (schlussendlich) ungesunden Gewissheit wogen, dass ihre Prozessoren bei gleicher Taktfrequenz mindestens die doppelte Leistung im Vergleich zu PC-Prozessoren brachten (und bringen). Mitte der Neunziger nannte man dies das " Serge j-Bubka-Syndrom": Immer, wenn die Konkurrenz (Intel et al.) ein Stückchen näher kam, setzte man wieder eins drauf, nur, um den Markt zu erhalten - bloß nicht zu viel Leistung auf einmal bereitstellen. Zu diesem Zeitpunkt war Intel auch mit der Taktfrequenz noch hoffnungslos hintenan: Zu Zeiten, wo der Alpha (der 21064, damals noch von DEC) mit 150 MHz strahlte, kam , Intel gerade mal auf 66 MHz.

Diese Taktik erwies sich lange Zeit als goldrichtig, aber leider vernachlässigte man das Marketing (oder eben jene Verquickung von Marketing und Technik, wie Intel sie beherrscht), und so sollte es kommen, dass der "Hubraum" - also die inneren Werte eines Prozessors - ebenso wie Drehmoment, Verhalten unter Last und derlei wichtige Dinge mehr egal war. Wichtig war nunmehr das "Hochjagen" des Motors - gewissermaßen zum Prahlen vor den Nachbarn. Auch hier greift ein Vergleich: Wie viele der 1-GHz-und-drüber-PCs haben nur 128 oder gar 64 Megabytes Arbeitsspeicher und wie viele (im Hinblick auf die Taktfrequenz) "kreuzlahme" G4 Macs haben ein halbes oder ein ganzes Gigabyte an Arbeitsspeicher? Warum fährt Schumacher Slicks?

Noch zum wahren Jahrtausendwechsel sind die RISC-CPUs den Chips aus dem PC-Lager hinsichtlich der Rechenleistung überlegen. Nun hat Intel eine gesunde Basis in den Köpfen geschaffen ("Ich brauche möglichst viele GHz, dann wird das Internet auch schneller!") und zudem die Technik- und die Marketingabteilung zusammengestopft und die Tür verschlossen, bis der Pentium 4 fertig war. Anders ist es schließlich nicht zu erklären, dpss dieser Chip seinem Vorgänger mit einem Drittel weniger Takt (l GHz Pentium III zu 1.5 GHz Pentium 4) in den allermeisten Anwendungsbereichen unterlegen ist. Dazu kommt, dass der Pentium III dem Athlon hoffnungslos unterlegen ist und beide zusammen wiederum dem noch einmal 50 % langsameren G4. Ergo hat Intel über ein Jahrzehnt die Grundlagen für ihren jetzigen Coup geschaffen, indem sie intensives Marketing durchgeführt und die Konkurrenz (einschließlich der PowerPC-Allianz) beim Verschlafen beobachtet hat.

Der Pentium 4 stellt ein Produkt dar, welches zu 20 % aus technischen Innovationen und zu 80% aus Marketing besteht - oder seit wann schmückt beinahe ein jedes prozessorinternes Element ein "?" wie beispielsweise "NetBurst?"? Ableiten lässt sich dies zudem aus oben erwähnter Schwäche hinsichtlich der Leistung, die wirklich "unter dem Strich" rauskommt - trotz 50 % höherem Takt teilweise eklatante Geschwindigkeitseinbußen. Schlussendlich ist es egal, es kommt ja auf den Takt an!

Das wiederum bekommen Hersteller wie Apple zu spüren. Die gesamte RISC-Industrie hinkt ein wenig hinterher: MlPS-Prozessoren bekommt man bis 400 MHz, Sun beginnt so langsam mit der Auslieferung von 900 MHz-Maschinen auf UltraSPARC-III-Basis, der ehemalige Speed Daemon Alpha gurkt auch irgendwo diesseits der Gigahertz-Schall-mauer herum. Eigentlich egal, die Leistung liegt über den Intel-Chips, wäre da nicht die Taktfrequenz.

Genau hier kommt der von IBM vorgestellte neue CMOS 9S-Herstellungsprozess als zweiter Schritt zum Tragen: Im Zuge der strategischen Partnerschaft von Apple, IBM und Motorola (der PowerPC-Allianz) entwickeln diese parallel an PowerPC-Prozessoren, auch fertigungstechnische Fortschritte werden in der Regel gemeinsam genutzt. In den letzten Monaten hat man bei IBM wie auch bei Motorola fieberhaft (wie immer also) an der Verbesserung der aktuellen Chip -also dem ersten Schritt - gearbeitet, wobei dies teilweise schon in den IBM-Prozessoren PPC750Cx "Sidewinder" und PPC750Cxe "Anaconda" (in den aktuellen iBooks zu finden) Früchte tragen durfte. Der zweite Schritt in Form des Fertigungsprozesses wird sich dieses Jahr in bis zu drei neuen Prozessoren manifestieren: -

G3e (offiziell PPC760)

Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern Sidewinder und Anaconda verfügt er über einen doppelt so großen On-Chip L2-Cache von 512 KB und wird im zweiten oder dritten Quartal 2001 bis zu 1.5 GHz Taktfrequenz erreichen.

G4+ (auch als "V'Ger" bekannt)

Hier sei auch der Name "Voyager" anzunehmen, als Grundlage hierfür sei Star Trek 1 anzusehen. Hier wird es sich mutmaßlich um einen leicht modifizierten Prozessor auf Grundlage des nun aktuellen G4 (PPC7410) handeln, welcher über kleinere Überarbeitungen wie längere Pipelines und einen optimierten Herstellungsprozess bis zur Ablösung auf bis zu 800 MHz kommen soll. Termin: Innerhalb des ersten und zweiten Quartals.

G4e ("Apollo", PPC7450)

Der Retter kommt mit integriertem Second-Level-Cache von 256 KB, längeren Pipelines und zusätzlichen Integer-, Gleitkomma- und AltiVec-Einheiten. Er soll zum dritten Quartal hin ab 800 MHz zu haben sein und kurz darauf die Giga-hertz-Grenze überschreiten.

Bei welchem Prozessor nun der neue CMOS 9S-Herstellungs-prozess eingesetzt wird, scheint noch nicht ganz klar zu sein. Sicher ist man, dass IBM den POWER4 wird (ein wahrhaftiges RISC-Monster ab 1,5 GHz) sowie den G3e damit herstellen wird. Um Apollo über die Gigahertz-Grenze und darüber hinaus hieven zu können, wird man mit Sicherheit ebenfalls den CMOS 9S bemühen - wohlgemerkt: Bei Prozessoren mit elegantem Design - und als solche gelten die PowerPCs - ist erst bei ca. satten 10 GHz Schluss mit CMOS 9S.

Doch bevor man in derartige Höhen entschwebt, taucht am Horizont eben aus jenem technologischen Quantensprung entstandene, große schwarze Wolke auf: Wie verkaufe ich z.B. G4-Macs mit 800, 900 oder 1200 MHz, während die iMacs sich dank des G3e schon bei 1.5 GHz tummeln?

Lösung eins heißt Mac OS X im Schulterschluss mit Multiprocessing. Mehrere G4-Prozessoren arbeiten - wie schon ansatzweise unter Mac OS 9 zu bewundern - kompromisslos im Team, egal, ob die entsprechende Anwendung dafür ausgelegt ist oder nicht (dann kommt die Rechenleistung auf der zweiten respektive der zweiten bis achten CPU halt Seti@Home zugute). Dies können die G3 insgesamt nicht - oder zumindest nicht so, wie es Apple oder jeder andere Computerhersteller benötigen, nämlich auf Prozessorebene ohne zusätzliche Logik, wie man sie beispielsweise aus Amigas und bald auch aus Ataris mit PowerPC kennt.

Lösung zwei heißt Desktop Video im Speziellen und Multimedia im Allgemeinen. Dem Verbraucher genügt der G3 vollkommen - um MP3 abzuspielen, könnte er auch nur mit 16 MHz laufen. Außerdem kann man ja dann auf Intels Marketing aufsetzen, wegen der Gigahertze und so ... Der Profi, der die multimedialen Inhalte bearbeitet - Videoschnitt, Audiobearbeitung, Streaming fürs Internet - zieht erhöhten Nutzen aus den gesteigerten Takten und zusätzlichen Recheneinheiten (AltiVec oder wie seit der Keynote der Macworld Expo im Januar auch Velocity Engine sowie Gleitkomma für Rendering) und interessiert sich wahrscheinlich eher dafür, dass vier Gigabyte RAM zur Verfügung stehen als Gigahertzprahlerei vor den Nachbarskindern - nicht, dass Amiga-User das jemals nötig gehabt hätten.

Insgesamt betrachtet zeichnet sich ein sehr interessantes Jahr in der ganzen Branche ab: Wie entwickelt sich die Strategie von Intel, wie entwickeln sich die Computerverkäufe nach Prozessoren gewichtet?

Hat ein Atari-Computer es überhaupt nötig, den Gigahertz-Bereich auf jeden Fall zu erreichen?

In Spannung ...


Timo Schöler
Aus: ST-Computer 02 / 2001, Seite 40

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