Stateside-Report

Jeden Monat berichtet Bengy Collins, Betreiber der beliebten Webseite MaglC Online von aktuellen Entwicklungen rund um den amerkanischen Atari-Markt.

Neue Werkzeuge


Walter Bagehot war ein englischer Sozialwissenschaftier. Er arbeitete als Redakteur und wurde respektiert als Literaturkritiker. Wenn er ein Jahrhundert später gelebt hätte, wäre er vielleicht sogar ein Atari-Anwender gewesen, denn er wird zitiert mit dem Spruch: «Die größte Freude Im Leben ist es, Dinge zu tun, von denen andere Leute sagen, dass sie unmöglich sind». Und darum geht es auch beim Atarl-Computlng im einundzwanzigsten Jahrhundert.

Wir, die Atari-Anwender, haben eine diebische Freude daran, zu sehen, wie unsere "veraltete" Hard- und Software moderne Aufgaben erledigt. Es erfüllt uns mit einiger Genugtuung z.B. mit der Draconis-Internet-Suite komplexe Webseiten anzuschauen. Wir erlangen Befriedigung dadurch, dass wir unsere Geschäftskorrespondenz mit High-Quality-Software wie Calamus, Papyrus oder Tempus gestalten können. Und wir sind zu Recht stolz darauf, unseren Kollegen und Freunden berichten zu können, dass wir diese Arbeit auf einem Computer erledigt haben, den es schon gab, als die Berliner Mauer noch stand. Wir sind Atari-Anwender, und wir sind eine aussterbende Rasse - aber hoffentlich nicht für eine lange Zeit.

Durch die Veröffentlichung des neuen Milan-II-Konzepts, das Sie u.a. in dieser und der vergangenen Ausgabe der st-computer finden, ist das Interesse an der immer noch unveröffentlichten Maschine in den Vereinigten Staaten größer als je zuvor. Findige Computerhändler wie Paradise Web Designs and Consulting haben das Potential des Milan II erkannt und warten ungeduldig darauf, die Maschine zu vertreiben und zu unterstützen. Diese Offenheit einem Atari-System gegenüber hat hier in den letzten Jahren gefehlt.

Aber schon vor der eigentlichen Veröffentlichung des Milan II haben die überzeugten Atari-Programmierer den Strom an neuer Software nicht abreißen lassen. Sector One veröffentlichte gerade eine neue Version von FalcAMP, einem modernen und komplett in GEM eingebundenen MP3-Player, der es herkömmlichen Falcons erlaubt, dieses populäre Musikformat abzuspielen. Dieses Programm ist ein gutes Beispiel für eine "unmögliche Aufgabe", die nun doch möglich wurde. Ein anderes Beispiel ist Draconis 1.7: Mit der verbesserten JavaScript-Unterstützung und einer überarbeiteten HTML-Darstellung macht es das Programm möglich, theoretisch sogar mit einem herkömmlichen ST heutige, moderne Webseiten darzustellen. Diese beiden Programme stellen auch hervorragende Beispiele für den "Atari Spirit" dar: die Erwartungen übertreffen, das Unmögliche möglich machen. Trotzdem: Dieser "Spirit" kann nicht mehr und nicht weniger erreichen. Computer sind in erster Linie Werkzeuge, und Werkzeuge sind nur dann von Nutzen, wenn sie das Ergebnis, für das sie erschaffen wurden, auch erreichen können. Und in genau in diesem Punkt hinkt die Atari-Plattform hinterher. Mit allem Respekt vor den Programmierern muss ich sagen, dass wir, obwohl wir langsam, aber sicher neue Technologien wie z.B. USB (im Milan II), MP3 (durch FalcAmp und Aniplayer) und sogar PDF (durch Ghostscript) übernehmen, in unseren Möglichkeiten immer noch etwas eingeschränkt sind. Um als Plattform zu überleben und zu wachsen, müssen wir in Zukunft viel schneller auf neue Standards und Technologien reagieren, als wir das in der Vergangenheit getan haben.

Um einen Anfang zu machen, müssen wir alle die Standards verfügbar machen, die wir nutzen dürfen. Obwohl viele davon, wie z.B. Macromedia Flash, vielleicht nicht eher Atari-Monitore zieren werden, bevor der Milan II ein Erfolg ist, sind andere Standards wie Cascading Style Sheets (CSS) und SSL (nicht nur unter MiNTnet) zwingend notwendig und sollten unterstützt werden. Wir sind gesegnet mit einer Plattform, die über genügend talentierte Programmierer verfügt, die diese Standards implementieren könnten - sie brauchen nur etwas Motivation.

Durch den Milan II sind viele Türen zum Teil schon offen. Wir haben jetzt einen Zeitpunkt erreicht, an dem wir alles geben oder die Brocken hinwerfen sollten. An die Anwender: Sie haben die Möglichkeit, die Entwickler Ihrer Programme direkt zu kontaktieren - machen Sie Gebrauch davon! Senden Sie Fehlermeldungen, Kommentare und Vorschläge ein und offerieren Sie soviel Hilfe, wie es Ihnen möglich ist. Wir sind zwar nicht alle Programmierer, aber wir sind alle gleich wichtig! Und an die Programmierer: Verliert nicht Eure Motivation! Auch, wenn es scheinbar Zeiten gibt, in denen Ihr Euch fühlt, als wenn Eure Arbeit nicht gewürdigt würde oder Ihr nicht gebraucht würdet, ist es so, dass wir ohne neue Programme und/ oder Updates nichts haben, auf das wir uns freuen dürfen.

Unser "Werkzeuge" werden stumpf, und wir müssen sie dringend schärfen!


Bengy Collins
Aus: ST-Computer 05 / 2000, Seite 11

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