ASH-jinnee 2.0

Mit ein wenig Verspätung kommt unser jinnee 2.01-Testbericht, doch als Leckerbissen haben wir zudem ein Interview mit dem jinnee-Erfinder Manfred Lippert für Sie geführt. Lesen Sie alles über jinnees Zukunft.

jinnee hat -sich mittlerweile zum Quasi-Standard unter den Desktops für den Atari gemausert - und das zu Recht. Seit einiger Zeit buhlt nun die Version 2.01 um die Gunst des Anwenders. Als Atari den ersten ST vorstellte, konnte er Anwender und Fachwelt in erster Linie durch seine innovative Benutzerführung überzeugen, die man bisher nur vom Macintosh kannte. Der erste TOS-Desktop wurde als mindestens so übersichtlich und komfortabel wie sein großes Vorbild empfunden. Während das Unternehmen aus Sunnyvale in den folgenden Jahren mit STE, TT und Falcon zum Teil umfangreiche Verbesserungen an der Hardware vornahm und so dem PC und dem Mac weiter ebenbürtig sein konnte, wurde die konsequente Weiterentwicklung des Desktops immer etwas vernachlässigt. Schon bald bot z.B. Windows weitaus mehr Funktionen, und auch der Finder des Mac hatte eine weitaus attraktivere Optik.

Alternativen für den Atari

Aus diesem Notstand heraus entwickelten sich aber schon bald Alternativen: Gemini war der erste Desktop-Ersatz, der sich nachhaltig durchsetzte und den tristen Atari-Bildschirm auffrischte. Gleichzeitig setzte er eine wahre Flut von alternativen Desktops in Bewegung, von denen sich Thing! sicher am nachhaltigsten durchsetzen konnte.

Auch ASH mischte schon ziemlich früh im Rennen um die beste Oberfläche mit: Als komfortable Variante des MagiC-Desktops wurde jahrelang Ease verkauft, das sich schnell großer Beliebtheit erfreute. Vor zwei Jahren wurde mit jinnee dann ein weiterer Desktop für Atari- und MagiC-Systeme nachgelegt. Grundkonzept von jinnee ist es, das Beste aus der Mac- und Windows-Welt in einer attraktiven Applikation zusammenzufassen. Und wieder einmal war ein neuer Quasi-Standard geboren: jinnee gilt seit seiner ersten Veröffentlichung als das Nonplusultra auf dem Atari.

Version 2 Atari-Anwender sind es gewohnt, auf Updates ihrer Software etwas länger warten zu müssen, und so hat sich auch Manfred Lippen für seine Version 2 von jinnee etwas Zeit gelassen. Aktuell ist derzeit die Version 2.01, die im März dieses Jahres erschien.

Nach wie vor gibt sich jinnee in seinen Ansprüchen bescheiden: Der Desktop kommt auf 2 1-1D-Disketten daher, läuft auf Atari-Rechnern und Kompatiblen und natürlich auch unter den Emulatoren MagiCMac und MagiCPC.jinnee setzt 1 MB RAM voraus und läuft in Auflösungen ab 640x200 Bildpunkten. Einigermaßen zufriedenstellendes Arbeiten ist ab einem Speicher von 4 MB möglich, schließlich will man ja neben dem Desktop noch einige Programme nutzen. Auch ein hochauflösendes Hintergrundbild belegt natürlich einiges an Speicher. Minimalisten haben selbstverständlich die Möglichkeit, jinnee bei besonders speicherhungrigen Anwendungen automatisch zu schließen.

Getestet haben wir jinnee 2.01 auf einem Falcon 030 mit 14 MB RAM und externem Screenblaster bei einer Auflösung von 1024x768 Bildpunkten. Außerdem installierten wir den Desktop auf einem MegaSTE mit 4 MB RAM und CrazyDots-II-Grafikkarte. In beiden Fällen nutzten wir MagiC 6.1 als Betriebssystem. Alternativ dazu nutzten wir auch einen Hades 040 mit N.AES. Auf allen Systemen lief jinnee ohne Beanstandung.

Aus dem Kontext gerissen

Wichtigste Neuerung der Version 2 ist sicher die Möglichkeit, kontextsensitive Menüs aufzurufen, wie sie z.B. von Windows her bekannt sind: Fähe man z.B. mit dem Mauszeiger über ein Icon, das eine Textdatei symbolisiert, und hält nun die rechte Maustaste eine Sekunde, öffnet sich ein Menü, das zu diesem Dateityp passende Optionen anzeigt. In unserem Beispiel könnte die Textdatei angezeigt werden. Ist die Datei ein gepacktes Archiv, so kann sie ihrem Extender entsprechend an einen Entpacker weitergegeben werden. Der Sinn dieser Funktion liegt auf der Hand: Der Anwender spart im Falle der Textdatei folgende typische Arbeitsgänge: Suchen eines Textviewers, Start des Textviewers, Laden des Textes. Natürlich ist der Einwand richtig, dass bei einem gut konfigurierten Desktop auch ein Doppelklick auf die Textdatei reichen würde, um sie darzustellen. Ein Kontextmenü stellt aber eine weitere, interessante Alternative dar, die dem Anwender mehrere Optionen gleichzeitig bereithält.

Als echte Arbeitserleichterung kann aber z.B. die Kopierfunktion des Kontextmenüs betrachtet werden: Wird diese Funktion über einer Datei ausgewählt, so wird diese ins Clipboard kopiert. Nun sucht man sich das Zielverzeichnis, ruft das Kontextmenü auf und wählt den Eintrag "Einfügen". Die entsprechende Datei wird nun in das entsprechende Verzeichnis kopiert. Wer mehrere Dateien aus verschiedenen Verzeichnissen auf diesem Wege kopieren will, kann auf die neue Funktion "Sammeln" zurückgreifen: Die selektierten Dateien werden nun in die Datei "Scrap.txt" ins Clipboard geschrieben, ohne dass vorher gemerkte Dateien gelöscht werden.

jinnee plugged

Darüber hinaus können die Möglichkeiten dieser Funktion beliebig erweitert und optimiert werden: Sichergestellt wird dies durch die neuen Plugins, die sich im Ordner JPLUGINS\CONTEXT verbergen. Alle hier aufgeführten Plugins werden im Kontextmenü eingetragen und stehen dem Benutzer somit bereit. ASH liefert mit jinnee 2 auf einer Zusatzdiskette bereits einige nützliche Plugins aus, die nach der Installation sofort bereitstehen. Die Auswahl ist sehr zufriedenstellend: Am wichtigsten sind dabei natürlich die Packer-Plugins, weshalb sie auch in großer Anzahl zu finden sind. Unterstützt werden neben den Standardformaten ZIP und LZH auch eher selten zu findende Formate wie TAR oder ZOO. Auch das z.B. auf UNIX-Webservern immer noch häufig anzutreffende Packerformat GZIP ist aufgeführt. Die entsprechenden TTPs werden bei jinnee natürlich ebenfalls gleich mitgeliefert.

Aber nicht nur die Packer-Plugins sorgen für Erleichterung: Der Eintrag "Touch" setzt Datum und Uhrzeit einer selektierten Datei auf die aktuelle Systemzeit. Interessant ist auch die Möglichkeit, Dateiextensions gezielt zu verlängern oder zu verkürzen, worüber sich z.B. Webdesigner freuen werden: Haben z.B.einige Webseiten die Endung ".html", andere aber den Extender ".htm", können sie schnell und unkompliziert entweder auf die eine oder andere Endung angepaßt werden. Wer häufig Dateien mit anderen Plattformen austauscht, wird die Einträge zum Konvertieren von Zeilenenden bei Textdateien zu schätzen lernen.

Die Konfiguration der Kontextmenüs wird im Einstellungsfenster von jinnee vorgenommen: Im Punkt "Mausklicks" kann genau festgelegt werden, bei welcher Aktion sich das Kontextmenü öffnet. Generell abschalten sollten Sie vielleicht die Option, ein Programm per Rechtsklick zu starten, da hier leicht eine Verwechslung mit dem Aufruf für das Kontextmenü möglich ist.

Popup

Popup-Menüs sind für MagiC-Benutzer sicher nichts Neues, weshalb sie zunächst auch nicht explizit als Neuerung auffallen. Bisher wurden sie durch das Programm "Popfold", das sich im Start-Ordner befinden musste, von MagiC direkt verwaltet. Die Popup-Routinen sind nun fester Bestandteil von jinnee und machen das oben genannte Programm überflüssig.

An der Funktionsweise dieses Popup-Menüs hat sich allerdings nichts geändert: Es steht in erster Linie bereit, um gezielt und schnell Programme zu starten, ohne erst die Verzeichnisfenster durchklicken zu müssen. Außerdem können die aktuell laufenden Applikationen angezeigt werden. Wem ein Startbutton und eine Taskleiste zu Windows-ähnlich sind, kann diese mit Hilfe der Popup-Menüs ersetzen.

Jedem Desktop seine Ikone

Überarbeitet wurde auch das Programm Jicons, das eine Zuordnung der Icons zu bestimmten Programmen zuläßt (Seite 17): Die Programmfenster wirken nun weitaus aufgeräumter, da sowohl zwischen den RSC-Dateien als auch zwischen den einzelnen Bäumen innerhalb derselben Trennlinien gezogen sind. Die RSC-Dateien werden außerdem nach Namen alphabetisch geordnet angezeigt, was ein wesentlich leichteres Auffinden garantiert. Auch das Verändern der Icon-Sätze wurde vereinfacht: Ist der Extender *.rsc korrekt in jinnee angemeldet, öffnet ein Doppelklick auf einen Ressource-Namen im Jicons-Fenster einen Icon-Editor. Damit das Programm auch merkt, dass ein Iconsatz verändert wurde, muss im Menü der Punkt "Icons aktualisieren" ausgewählt werden. Jicons liest dann alle RSC-Dateien wieder ein und stellt sie korrekt dar.

Extras für Apfel-Freunde

Mit seinem beeindruckenden Funktionsumfang kann jinnee auch Mac-Freunde nachhaltig begeistern. Besonders viele Ex-Atarianer mögen manchmal gar nicht mehr auf den Finder wechseln. Für diese MagiCMac-Puristen gibt es jetzt einen neuen Punkt im Einstellungsfenster, in dem die Laufwerke angegeben werden, von denen Mac Programme unter jinnee gestartet werden können. Nachteil dieser Methode ist, dass das Einlesen der bezeichneten Verzeichnisse langsamer als gewohnt vor sich geht. Weiterhin gibt es im Kontextmenü des Desktops einen Eintrag zum Wechseln zu MacOS, wenn MagiCMac benutzt wird. Somit ist ein schnelles Umschalten möglich.

Und sonst?

Es wurde viel Detailarbeit vorgenommen, die zum Teil auch in direktem Zusammenhang mit den neu hinzugekommenen Funktionen steht. Verändert wurde die Handhabung der Papierkörbe: Der echte Papierkorb kann ab sofort ausgeblendet werden, um fehlerhaftes Löschen auszuschließen. Alternativ können aber auch mehrere Papierkörbe auf dem Desktop angelegt werden, was auf Großbildschirmen so manchen Weg erspart. Außerdem lassen sich alle Ordnergrößen im angewählten Verzeichnisfenster automatisch oder nach Anwahl durch den entsprechenden Menüeintrag berechnen.

Wünsche für die Zukunft

Jinnee läßt eigentlich schon in der aktuellen Version kaum Wünsche offen. Noch effektiver wäre es, wenn man neben Windows und Mac vielleicht auch noch andere Systeme betrachten würde: Auf dem Atari gibt es für meinen Geschmack z.B. immer noch keine wirklich befriedigende Lösung für das Auswechseln von einzelnen Icons. Wie es besser geht, zeigen z.B. verschiedene Erweiterungen für das AmigaOS: Hier kann man ein Fenster aufrufen, das in zwei Teile aufgeteilt ist. Auf der linken Seite findet sich das zu kopierende, neue Icon, auf der rechten Seite das zu ersetzende, alte Icon. Beide Fensterteile werden per Drag & Drop bedient, so dass ein Icon innerhalb weniger Sekunden ausgewechselt ist. Ähnlich einfach wünsche ich mir die Handhabung von Icons in jinnee.

Gerade auf kleinen Bildschirmen wäre außerdem ein Möglichkeit zum Ausblenden der Menüleiste schön. Diese könnte bei Berührung des oberen Rands mit der Maus automatisch wieder erscheinen.

Fazit

Ich arbeite aus beruflichen Gründen regelmäßig mit dem Amiga und musste viel Zeit und Arbeit investieren, um dessen Oberfläche auch nur halbwegs so komfortabel erscheinen zu lassen, wie es mit jinnee auf einem Atari möglich ist. Durch eine perfekt funktionierende Emulation nutze ich auch regelmäßig MacOS auf dem Amiga und finde auch den Finder nicht befriedigend. Besonders in Kombination mit MagiC stellt jinnee die komfortabelste Benutzeroberfläche dar, die ich systemübergreifend kenne. Die neuen Kontextmenüs haben dem Desktop noch genau das Element verliehen, das bisher fehlte. Wer von heute auf morgen ein völlig neues Arbeitsgefühl auf seinem Atari haben möchte und hin und wieder gern erlebt, dass sich Benutzer anderer Systeme vor seinem Monitor ungläubig die Augen reiben, sollte sich jinnee zulegen. jinnee ist uneingeschränkt zu empfehlen.


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 10 / 1999, Seite 16

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