Atari-Nachfolger im Überblick

Einer der Hoffnungsträger des Atari-Marktes ist der Milan. Er soll voraussichtlich noch bis zum Ende des Jahres in Serie gefertigt und bundesweit, später auch weltweit, vertrieben werden.

Atari stellte 1994/1995 die Produktion des Falcon 030 ein, anstatt die erweiterte Nachfolgemaschine zu entwickeln. Später übernahmen diverse Hardwareentwickler auf eigene Faust die Verantwortung, Atari-Anwendern eine angemessene und zeitgemäße Rechnerplattform zu bieten, hoffend, dass das so praxisgerechte TOS-Sy-stem nicht gänzlich von der Bildfläche verschwindet.

Medusa

So erschien noch zu Falcon-Zeiten die Medusa T40, eine Mischung aus einem originalen Mega ST und einer Hardware-Neuentwicklung, deren Herzstück ein Motorola MC 68040-Prozessor ist. Erstmals wurde dem Atari-Fan eine moderne CPU mit einer vergleichsweise großen Rechenleistung angeboten, doch der Preis war für Privatnutzer jenseits von Gut und Böse: Mit 5.000,- bis 6.000,- DM entwickelte sich die Medusa zum Profi-Rechner für Werbestudios und Druckereien.

Eagle

Und während der Medusa-Entwickler, Fredi Aschwanden aus der Schweiz, schon am Nachfolgegerät (Hades) arbeitete, veröffentlichte die Firma GE-Soft den Eagle 030, eine komplette Neuentwicklung mit einer 68030-CPU, die mit 50 MHz getaktet wurde und kurze Zeit nach dem Erscheinen des Computers kostenfrei gegen einen 68040-Prozessor ausgetauscht werden sollte. Rund 50 Enthusiasten und Liebhaber erwarben einen Eagle für knapp 3.000,- DM, doch leider überstand die Entwicklerfirma, die sich schon durch exzellente Falcon-Erweiterungen ausgezeichnet hatte, diesen finanziellen Handstand nicht und musste schließen.

Besonders diese Entwicklung hat dem Atari-Nachfolgegeräte-Markt doch immens geschadet, denn schnell hatte die Nachricht von den knapp 50 verprellten Anwendern ihre Runde gemacht, und viele Fans verloren ihren Glauben an die Realisierung eines Atari-Nachfolge-Projektes.

Hades

Wegbereiter zur Erholung der Gemüter war der Hades, der schon Ende 1996 als in Serie gefertigter Atari-Cone erschien. Er beeindruckte durch moderne Features wie z.B. 4 PCI-Schnittstellen für den Anschluss zeitgemäßer PC-Erweiterungskarten, aber auch durch die SIMM-Bänke, die den Speicherausbau auf 128 MB-RAM ermöglichen.

Der Hades verstand und versteht sich als perfekter Nachfolger eines Atari-TT und wurde zu einem Preis von rund 3.500,- DM in zufriedenstellenden Stückzahlen verkauft.

Seine Mankos sind auch heute noch, dass er nur über ein gepatchtes Atari-TOS 3.06 des TT verfügt, was Modifikationen und Erweiterungen des Betriebssystems nur sehr eingeschränkt zulässt. Sein PCI-Bus ist nicht 100%ig PC-kompatibel, und der Preis ist kaum zu reduzieren, weil eine Vielzahl von originalen Atari-kompatiblen Chips verwendet wird. Aber auch heute noch ist der Hades ein beliebter Profi-Rechner mit einer guten Rechenleistung, der bereits seit 1998 mit einem 68060-Hauptprozessor ausgestattet werden kann.

Drei weitere Firmen haben sich 1997 an die Arbeit gemacht, den ultimativen Atari-Nachfolger zu entwickeln: Milan Computersystems, Wizztronic und Centek.

Neues von Wizztronics USA

Die Firma Wizztronic lässt sich recht schnell abhandeln, denn diese hat sich seit vielen Jahren als ein Unternehmen der großen Versprechungen erwiesen. Trotz etlicher Ankündigungen konnte bis heute kein annähernd lauffähiger Computer vorgestellt werden.

Phenix

Ähnliches befürchtete man über lange Zeit hinweg auch von Centek aus Frankreich, denn seit über zwei Jahren wird der Phenix mit sagenumwobenen Fähigkeiten angepriesen. Beim Phenix handelt es sich um einen puren Falcon-Nachfolger mit schnellem DSP-Prozessor, tollen Soundwandlern und einem 68060-Prozessor. Die letzte Atari-Messe hat gezeigt, dass der Phenix mehr und mehr in greifbare Nähe rückt, und wenn alles nach dem Willen der Entwickler gehen sollte, dann wird er noch in diesem Jahr erscheinen.

Milan

Last but not least wäre da noch der Milan 040, der seit August 1998 erhältlich ist.

Beim Milan handelt es sich um eine moderne Neuentwicklung eines Atari-Clo-nes, die über PC-kompatible PCI-Schnittstellen, ISA-Ports, standardisierte Speicherbausteine und weitere Besonderheiten verfugt.

Die Stärke des Milan ist darin zu sehen, dass eine Reihe nicht existierender Atari-Original-Chips mit Hilfe moderner Logic-Chips einfach emuliert wird, so dass die Produktionskosten vergleichsweise niedrig ausfallen.

Doch das Kernstück seiner Kompatibilität und seiner Zukunftsaussichten besteht darin, dass die Mutterfirma, die Milan Computersystems, die Rechte an dem Atari-TOS erwarb und somit die Möglichkeit erhielt, das Betriebssystem an die moderne Hardware anzupassen und es auch weiterzuentwickeln.

Das Betriebssystem

Das Milan-Betriebssystem besteht aus einem angepaßten Atari TOS sowie einer aktuellen Version von N.AES. N.AES versteht sich als inoffizieller Nachfolger des Atari-MultiTOS. Es ermöglicht, ebenso wie unter MacOS oder Windows, mehrere Programme gleichzeitig zu betreiben und verfügt darüber hinaus über eine modernere Optik als das originale TOS.

Das SingleTOS wird - wie beim echten Atari auch - direkt aus einem Chip gestartet, so dass der Milan auch bei einem Festplattenausfall noch startfähig wäre. Der Vorteil gegenüber den Vorgängern ist jedoch, dass der Chip per Software neu programmiert werden kann, so dass die Entwicklerfirma in der Lage ist, regelmäßig Updates herauszugeben. Seit Mitte Juni liegt nun wieder eine aktualisierte Version des TOS vor, die wiederum in vielen Detailpunkten optimiert wurde.

Die Hardwareanpassungen

Eine PC-Karte direkt in die passenden Slots des Milan einzustecken, führt leider noch nicht zum gewünschten Erfolg, denn schließlich muss jede Karte auch direkt angesprochen und programmiert werden. Aufgrund dessen stehen dem Milan nur eine begrenzte Anzahl von PC-Karten zur Verfügung, doch die Anzahl der Anpassungen wächst stetig.

Grafik

Seit Veröffentlichung des Milan können die Anwender auf eine 2 MB-S3-Grafikkarte zurückgreifen, die Auflösungen von 1024 x 768 Pixeln in High-Colour und rund 85 kHz ermöglicht. Verglichen mit dem, was z.B. ein Falcon jemals zu leisten vermochte, Spitzenwerte.

Zur Zeit wird daran gearbeitet, eine ATI Mach 64-Karte anzupassen, die in den Speichergrößen 4 MB und 8 MB verfügbar ist, was den Anschluss von Großbildschirmen bei hohen Auflösungen und einer schnellen Bildwiederholfrequenz ermöglichen wird.

Sound

Die erste verfügbare Karte war die STar-Track-Karte aus dem Hause Stephan Wilhelm Electronic. Bei dieser Pofi-Sound-karte mit DSP-Chipsatz handelt es sich um eine Hardware in der Preisklasse um die 1.500,- DM, die professionelle Aufnahme- und Wiedergabeergebnisse erreicht. Der direkte Anschluss an den Milan ist jedoch nicht möglich, da die STar-Track-Karte ursprünglich für den TT und den Hades entwickelt wurde und daher nur als VME-Bus-Variante erhältlich ist. Um sie auf dem Milan betreiben zu können, benötigt der Anwender eine VME-Bus-Adaption (siehe Zusatzkarten).

Aber schon kurz nach dem Erscheinen des Milan veröffentlichte die Firma woller Systeme aus Berlin die Treibersoftware zum Betreiben von Creative Labs Soundblaster-Karten. Das Komplettpaket kann bereits zum Preis von 149 DM bezogen werden und ermöglicht nicht nur die Soundausgabe, sondern bietet über ein Adapterkabel auch die wichtigen MIDI-In- und Out-Ports.

Schon in wenigen Tagen wird eine dritte Soundkartenanpassung ebenfalls von woller Systeme vorgestellt.

Erweiterungen und Zusatzkarten

Über die o.g. Hardwarekarten hinaus sind weitere Anpassungen für den Milan vorgenommen worden. So z.B. kann die ROM-Port-Karte, die ebenso wie die STarTrack-Karte von Stephan Wilhelm Electronics entwickelt wurde, über den ISA-Bus in den Milan gesteckt werden, damit mit einem Dongle-Kopierschutz versehene Atari-Programme weiterhin genutzt werden können. Die Kompatibilität ist bei Notator z.B. leider nach wie vor nicht gegeben, da dessen ROM-Port-Dongle auf das exakte Atari-ST-Timing zurückgreift, was noch nicht einmal der Atari-TT oder der Falcon haben bieten können.

Aus den Entwicklungsräumen der Milan-Computersystems stammt die VME-TO-PCI Karte, mit Hilfe derer ein PCI-Port auf den VME-Port adaptiert wird.

Damit können viele VME-Karten (Netzwerk, STarTrack), die eigens für den TT entwickelt wurden, auch direkt am Milan betrieben werden. Leider ist zu Adaptierung der Technologie ein erheblicher Hardwareaufwand zu betreiben, so dass die Karte nur für knapp unter 300,- DM zu haben ist.

Festplatten und CD-ROM-Laufwerke wie auch Brenner schließt man beim Milan nicht nur über die internen 4 IDE-Ports, sondern auch über SCSI an. Die Anpassung einer NCR-kompatiblen SCSI-Karte eröffnet Milan-Usern 8 schnelle SCSI-Ports, die sowohl intern als auch extern genutzt werden können. Im Zuge der Neuerungen rund um den Milan, die für den Herbst/Winter 1999 zu erwarten sind, wird eine neue Ultra-SCSI-Karte, die ebenfalls auf dem NCR-Chipsatz basiert, verfügbar sein.

Für denjenigen, der keine Soundkarte benötigt, aber dennoch MIDI-Ports möchte, gibt es eine im TOS integrierte Anpassung an die Midi-Man MIDI-Karten. Diese Karten basieren auf dem ISA-Anschluss und können direkt in den Milan eingesteckt und in Betrieb genommen werden.

In Planung

Weitere Anpassungen sind kontinuierlich in Arbeit. Eines der lang ersehnten Projekte soll kurz vor der Vollendung stehen: die Anpassung der Hauppauge TV-Karte, die nicht nur das Fernsehen innerhalb eines kleinen Fensters ermöglicht, sondern darüber hinaus auch alle Funktionen einer Video-Capture-Karte. Das bedeutet, dass Sie z.B. Ihre Video-Kamera oder Ihren Video-Recorder direkt anschließen und einzelne Bilder sowie ganze Sequenzen aufnehmen können.

Die aber wohl am heißesten ersehnte Karte, die ebenfalls noch in diesem Herbst in Serie gefertigt wird, ist die Falcon-kompatibilitäts-Karte. Diese bildet die komplette Soundmatrix auf Basis eines schnellen und modernen DSP nach und soll mit Hilfe ausgeklügelter Treiberkonzepte so gut in das Milan-System eingebunden werden, dass sie eine über 90%ige Kompatibilität zum Falcon ermöglicht.

Weitere Kartenanpassungen sind in frühen Stadien in Entwicklung, doch darüber werden wir wohl erst im Herbst wieder mehr zu berichten haben.

Software

Auch auf Seiten der Software hat sich so einiges getan. Jüngste Anpassung ist das beliebte und topaktuelle Betriebssystem MagiC, das nun auch in einer speziellen MagiCMilan-Version verfügbar ist.

Die Portierung auf das Milan-System konnte in einem wesentlich stabileren Maße und deutlich schneller umgesetzt werden, als seinerzeit z.B. auf den Falcon oder den Hades portiert wurde. Wieso das funktionieren konnte, wird nachfolgend erläutert.

Funktionsweise

MagiC ist ein autarkes, eigenständiges Betriebssystem, durch das das TOS-Betriebssystem bislang komplett ersetzt wurde. Ein Betriebssystem muss jedoch nicht nur die grafische Benutzerschnittstelle, den Desktop, zur Verfügung stellen, sondern auch die Hardware des jeweiligen Rechners ansprechen. Dies ist auch der Grund dafür, warum die Anpassung von MagiC an den Falcon seinerzeit so viel Aufwand bedeutet hat: Die Programmierer mussten alle hardwareabhängigen Komponenten des Betriebssystems komplett umschreiben und lange Zeit auf Ihre Betriebssicherheit testen, bis das Produkt auf den Markt gebracht werden konnte. Unter eben dem gleichen Problem hatte auch die Hades-Version zu leiden.

Beim Milan-System haben sich die MagiC- und die TOS-Entwickler zusammengeschlossen und ein Konzept entwickelt, das es ermöglicht, den hardwareabhängigen Teil des Betriebssystems dem TOS zu überlassen. Somit mussten die MagiC-Entwicker nur noch eine Software-Schnittstelle entwickeln, die alle hardwarerelevanten Zugriffe über das TOS abwickelt.

Der Vorteil liegt eindeutig darin, dass MagiC nun von der Weiterentwicklung des TOS, z.B. zur Anpassung neuer PC-Karten, partizipiert, ohne jeweils neu programmiert werden zu müssen.

In der Mai-Version von MagiC-Milan gibt es noch einige kleinere Fehler, die noch bereinigt und Funktionen, die eingebaut werden müssen, doch dies dürfte über die Sommerwochen geschehen. So z.B. funktioniert die Auflösungsumschaltung noch nicht unter der MagiC.

Die Installation ist sehr einfach, nämlich genau so, wie Sie es vom Atari gewohnt sind, mit der kleinen Ausnahme, dass Sie zuvor auch ein neues Milan-TOS installieren müssen, das ebenfalls mitgeliefert wird.

Schon beim Neustart des Rechners verfügen Milan-Anwender über die neueste Version von MagiC, die übrigens einen ausgesprochen guten Eindruck macht. Der Tabelle auf Seite 17 können Sie die Benchmarks entnehmen. Sie werden sehen, dass MagiC trotz der Tatsache, dass es ein Multitasking-Betriebssystem ist, kaum langsamer als das originale TOS ist. Damit ist es auch schneller als das standardmäßig mitgelieferte Milan Multi-OS 1.2, das auf dem aktuellen N.AES 1.2 basiert.

Die Zukunft

Bereits im Editorial haben wir vage darauf hingewiesen, dass sich rund um den Milan eine Menge tun wird. Derzeit wird in den Entwicklungsräumen der Milan Computersystems an einem neuen System gearbeitet, das schon zum Jahresende in Zusammenarbeit mit einer europaweit aktiven Distributionsfirma in Deutschlands Computergeschäfte und Kaufhäuser kommen soll.

Die genauen Neuerungen auf Seiten der Hardware und das riesige Softwarepaket, das zum Teil auch aus längst eingestampft geglaubten Programmen besteht, können wird Ihnen erst in der kommenden Ausgabe nennen. Aber unserer derzeit vorliegenden Informationen zufolge kann der neue Milan trotz der übermächtigen Konkurrenz aus dem PC-Lager wieder voll für das Motto "Power without the price" einstehen.

Aber das Besondere an diesem Vorhaben, das Insider hoffen lässt, der Atari-Markt könnte wieder mehr an Bedeutung gewinnen, ist die anvisierte Namensgebung des neuen Milan: In Zusammenarbeit mit Motorola Europa und dem Vertriebspartner verhandelt Milan Computersystems mit Hasbro Interactive darüber, den Namen Atari für das neue System zu erhalten. Was dies bedeutet, dürfte jedermann klar sein: In den Computergeschäften stünde wieder ein Atari-Computer, und schon jetzt hat die informierte Fachpresse großes Interesse an einer Wiedergeburt Ataris gezeigt. Und damit das System auch wirklich akzeptiert wird, arbeiten europaweit Entwickler an interessanten Hard- und Softwareprodukten.

Aber warten wir es ab, die Ankündigungen dürften bis zur kommenden Ausgabe, die bekannterweise erst Ende August erscheinen wird, bestätigt werden, und damit erhalten auch wir den Startschuß, Sie vollends über das Geschehen rund um den Milan - oder sagen wir rund um das Auferstehen der Marke Atari - zu informieren.


Red.
Aus: ST-Computer 07 / 1999, Seite 13

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite