Expand - Soundvielfalt für MIDI-Freaks

Alle sieben Jahre kommt etwas Neues. Dieses Sprichwort trifft ausnahmsweise auch einmal für Falcon-Software zu, denn wer hätte gedacht, dass nach so langem Bestehen des "jüngsten" Atari-Computers wirklich noch ein wirklich neues Konzept aus dem Hut gezaubert werden kann. Der Firma Softjee aus Frankreich ist dies gelungen: EXPAND verwandelt den Falken nämlich in einen MIDI-Sampler - Sie wissen schon, diese Dinger, die als Hardware-Variante nicht unter tausend Mark zu haben sind.

Das Konzept dabei ist folgendes: Beliebige Sound-Samples werden, einzeln oder in Gruppen, als "Instrumente" definiert. Diese können dann MIDI-Kanälen zugeordnet und von einem MIDI-Keyboard, einem externen oder sogar internen (also auf dem selben Falcon laufenden) Sequenzer angesteuert werden. Da der Funktionsumfang einer solchen Software relativ groß sein muss, gehen wir der Reihe nach vor.

Die Installation

Die Installation gestaltet sich dank des mitgelieferten Installationsprogrammes zunächst denkbar einfach: Außer zwischendurch die Diskette zu wechseln, hat der Anwender nichts zu tun. Leider gibt es aber eine gefährliche Klippe, an der auch ich unglücklicherweise hängengeblieben bin: Der Programmstart klappt in Zukunft nur, wenn man wieder vom selben Laufwerk bootet wie bei der Installation - der Himmel weiß warum. Leute, die immer nur von C:\ starten, womöglich noch mit einem Bootselektor, haben keine Probleme. Wer aber, wie ich, verschiedene Start-Setups in den Auto-Ordnern und Rootsektoren der verschiedenen Laufwerke versteckt hat, wird EXPAND nicht starten können, wenn von einem anderen Laufwerk als bei der Installation gebootet wurde. Da Expand hierzu immer nur "Bad Installation" kommentiert, können Sie vielleicht ahnen, wie lange ich gefummelt habe, um Ihnen diese Information geben zu können... Ähnlich kompliziert verhält es sich mit der Installation als Accessorie: Egal, von welchem Laufwerk aus gebootet wird, das RSC- und das INF-File von EXPAND müssen sich immer in C:\ befinden. Änderungen in der Konfiguration werden allerdings im anderen Pfad gespeichert, was ziemlich viel Hin- und Herkopiererei nötig macht. Ein paar Hinweise hierzu im Handbuch oder aber gleich eine Flexiblisierung des Programmes dahingehend, würde sicherlich vielen Anwendern einigen Frust ersparen.

Bedienung

Beim ersten Start zeigt sich dann die gesamte Benutzeroberfläche in einem Fenster, welches beim Betrieb als Programm oder Accessorie identisch ist (siehe Bild 1).

Info-Box 1: Von EXPAND unterstützte Sampleformate
24585 Hz
25033 Hz
32780 Hz
44100 Hz
48000 Hz
49170 Hz
Alle in 8 oder 16 Bit und in Mono oder Stereo

Die wesentliche Einstellungen sind dabei über die sichtbaren Buttons zu erledigen (MIDI-Channel, Sample oder Instrument laden, Hüllkurve des Samples definieren, MIDI-Signale schicken, etc.)
Wesentliche Parameter könne allerdings auch über das Pop-Up "Menu" erreicht werden, wobei es etwas schade ist, dass die dann erscheinenden Dialoge nicht in Fenstern liegen. Ungünstig finde ich auch, dass diverse Bedienelemente erst ab 16 Farben vernünftig zu erkennen sind, da es ja doch noch einige Sparsame gibt, die einen SM 124 am Falcon betreiben - und nicht zuletzt bietet sich dieser ja gerade live, wo EXPAND doch auch zum Einsatz kommen sollte, wegen seiner Größe an. Des Weiteren scheint sich die geringere Belastung des Falcon im Zweifarbmodus positiv auf die Mehrstimmigkeit auszuwirken (siehe unten).
So kommt man nicht umhin, die Bedienung als noch nicht ganz ausgereift bzw. teilweise etwas umständlich zu bezeichnen. Einige Beispiele hierzu: Die MIDI-Channels (vergleiche Bild 1 oben rechts) etwa können nur mit den Maustasten weitergeklickt werden, und nicht, wie von Cubase gewohnt, auch manuell eingegeben werden. Ärgerlich ist auch, dass die doch relativ häufig zu verwendenden Save/Load Conf Buttons (Bild 1 rechte Mitte) schwer zu treffen sind: klickt man auf die oberen 2/3 des Buttons, so öffnet sich merkwürdigerweise Save/Load Instrument.
Die Bedienungsanleitung ist übrigens in (etwas fehlerhaftem) Englisch, das man jedoch auch mit nicht so ausgefeilten Kenntnissen in dieser Sprache verstehen sollte. Am effektivsten ist diese zu gebrauchen, wenn man sie Punkt für Punkt abarbeitet, da sie keinen Referenzteil bietet, und einige Funktionen doch etwas versteckt liegen - Schnellstarter müssen also ein wenig Geduld aufbringen.

Die Soundverwaltung

Im Lieferumfang von EXPAND befinden sich vier Sounds: ein Drumset, eine Harp und zwei Digitalsynthi-Klänge. Die Soundqualität ist die vom Falcon gewohnte, will sagen: hängt natürlich auch von der Version (Atari/C-Lab) und der Hardwareerweiterung (etwa SPDIF-Interface, Sample-Rate-Converter) ab. Es kann aber im Prinzip wirklich jedes Sample in den gängigen Formaten (siehe Info-Box 1) geladen und angesteuert werden. Darüberhinaus können auch mehrere Samples zu einem Instrument zusammengefasst werden, was zum einen die Soundqualität bei mehroktavigen Instrumenten verbessert, zum anderen aber auch die gleichzeitig verfügbare Soundvielfalt erhöht, etwa wenn die Klaviatur gesplittet wird, von der Möglichkeit der Erstellung von individuellen Drumsets einmal ganz zu schweigen. Samples können sowohl in Expand direkt aufgenommen und auch in geringem Umfange nachbearbeitet werden, als auch einfach aus anderen Programmen oder von CDs bzw. dem Internet in den gängigen Formaten importiert werden. Ist ein Sample zu groß, spielt EXPAND dieses im D2D-Verfahren ab. Wesentliche Soundparameter (Hüllkurve, Panorama, Soundstart im Verhältnis zur Velocity) können in jedem Fall schon im Hauptfenster einfach und schnell editiert werden. Darüberhinaus kann jedes Instrument im Programm selbst mit Hall oder Delay (Echo, Chorus, Flanging) versehen werden. Die Einstellungsmöglichkeiten dieser Effekte sind äußerst umfangreich, wenn auch in ihrer Realisierung etwas unübersichtlich. Die vorhandenen Instrumente können übrigens nicht nur einzelnen MIDI-Kanälen, sondern auch den Programmnummern einzelner Kanäle zugeordnet werden. Hat man sich ein häufig benötigtes Set-Up aus verschiedenen Instrumenten zusammengestellt, kann dieses als "Configuration" (CNF, siehe oben) gespeichert werden. Hier traten allerdings teilweise Fehler auf. Ansonsten hält Expand in diesem Bereich aber wirklich alles, was es verspricht, und erscheint schon sehr ausgereift. (OBBild 1: Das Hauptfenster von EXPAND. Unten zu sehen ist das aktuelle Sample, die rote Kurve markiert die Volume-Hüllkurve. Die weitergehenden Funktionen verbergen sich hinter dem Button "Menu".OB)

Der Betrieb unter externer MIDI-Ansteuerung

Info-Box 2: Von EXPAND unterstützte MIDI-Messages

Note-on/Note-off
Programm Change
Aftertouch
Pitch Bend
Control Change (die Folgenden):
Bank Select
Data Entry
Data Increment/Decrement
Main/Channel Volume
Pan
Pitch Bend Sensitivity
Coarse/Fine Tuning

Für den Liveeinsatz oder Soundexperimente im Homestudio kann EXPAND über die MIDI-In Buchse des Falcon von einem Keyboard oder einem externen Sequenzer (für diesen Test ein Atari STE mit installiertem Cubase 3.01) angesteuert werden. Dabei versteht EXPAND allerdings noch relativ wenige MIDI-Messages (siehe Info-Box 2). Besonders die Pedal-Hold-Funktion wurde beim Spielen auf dem Masterkeyboard doch sehr schmerzlich vermißt; diese sollte der Autor schnellstens implementieren. Weiterhin fiel hier negativ auf, dass die Oktavzuordnung nicht richtig ist. Expand interpretiert aus irgend einem Grund jedes Signal als zwei Oktaven höher. Zum Sound: dieser ist nach wie vor wie oben beschrieben, allerdings traten an den Enden einiger Samples (d.h. bei sehr lang ausgehaltenen Tönen) teilweise recht unschöne Knackser auf. Zudem war beim Spielen von mehr als 6 Tasten auf dem Masterkeyboard von dem mitgelieferten Harp-Klang schon nichts mehr zu hören, stattdessen gaben die Lautsprecher ein wüstes Brummen von sich. Bei anderen Sounds reichten dafür gar vier Tasten. Verwendet man ein Sample von nur 24585 Hertz, in meinem Fall eine verzerrte Gitarre, die sich noch recht ordentlich anhörte, so können allerdings auch 9 Tasten gedrückt werden, was zum Klavierspielen zumindest doch reichen sollte, bei 8 Bit-Sounds waren es gar 14. Hierzu ist allerdings zu sagen, dass das Limit laut Handbuch eigentlich von EXPAND aus bei 64 (!) Stimmen und von der "normalen" Falcon-Hardware bei 24 Stimmen erreicht sein soll. Woher diese Diskrepanz kommt, kann ich nicht sagen, es ist aber anzunehmen, dass ein stark beschleunigter Falcon (Centurbo/Afterburner) noch einiges an Polyphonie mehr schafft. Übrigens ergab sich bei der Ansteuerung durch den STE erwartungsgemäß das selbe Bild. Hier konnte allerdings festgestellt werden, dass es auf die Anzahl der verschiedenen gleichzeitig angesteuerten MIDI-Kanäle weniger ankommt, als auf die Stimmenanzahl. Einstimmig spielten beim Test jedenfalls Bass, Drums und Gitarre zusammen aus EXPAND.

Der Parallelbetrieb zum Sequenzer

Um dies zu gewährleisten, muss EXPAND als Accessorie installiert und dann der Sequenzer gestartet werden. Als nächstes muss bestimmt werden, ob EXPAND über das Cubase eigene MIDI-System oder über das System des Falcon angesteuert werden soll - letzteres heißt übrigens, dass MIDI-In und MIDI-Out des Falcon miteinander verbunden werden müssen; es wäre schön, wenn das Handbuch dies für Anfanger vermerken würde. Zum Funktionieren: Leider gab es unter Cubase einige Abstürze des gesamten Systems zu vermelden. Des Weiteren ist es nicht so angenehm, dass das Programmende von Cubase immer mißlingt, wenn man EXPAND vorher nicht völlig schließt. Um die Sounds von EXPAND optimal nutzen zu können, sollte das Accessorie-RAM, das vorher im Optionen-Menü festgelegt wird, möglichst hoch gewählt werden. Aber auch dann hält die Zusammenarbeit der beiden Programme noch nicht, was die Werbung verspricht. Sinnvoll einzusetzen sind bisher nur einstimmige Passagen, die von Expand gespielt werden. Alles andere liegt entweder furchtbar neben dem Timing oder stürzt gleich ab. Somit kann Expand bisher im Parallelbetrieb zu nicht audiofähigen Cubase-Versionen lediglich dazu verwendet werden, gelegentlich ein Sample einfließen zu lassen, oder aber einen Sound für ein Solo zu verwenden, den man sonst partout nicht hat (allzu schnell sollte ersteres aber auch nicht sein...). Es gelang mir andererseits aber auch, einen ganzen Schlagzeug-Beat als ein Sample zu den anderen Stimmen zu synchronisieren. Wenn dies klappt (ist natürlich oft ein Timing-Problem), tun sich durch EXPAND doch noch eine ganze Reihe Verwendungsmöglichkeiten, gerade z.B. in Verbindung mit dem EC 909 Drumcomputer-Emulator auf. Allgemein gilt die Regel, dass, wenn man auf Mehrstimmigkeit seitens des von EXPAND beigesteuerten Sounds Wert legt, man diese gleich beim Samplen erzeugen sollte.

Über die Zusammenarbeit mit anderen Sequenzern gibt es leider auch nicht nur Positives zu berichten: Bei Live gibt es ja aus dem Programm heraus keinen Zugang zu den Accessories, hier erwies sich also schon der Versuch als sinnlos. Sweet 16, ein ansonsten sogar multitaskingfreundlicher Sequenzer, stürzte stets nach wenigen Noten ab. SPP, MusicEdit, und Guitar Dreams arbeiteten aber relativ problemlos (eher noch besser als Cubase) mit EXPAND zusammen. Gerade SPP funktionierte erstaunlich gut (9 Stimmen mit der Harp), was wohl daran lag, dass für dieses Programm ja zwangsläufig in den Schwarzweißmodus gewechselt werden musste - die höhere Systemleistung kam EXPAND sichtlich zugute. Freuen können sich auch die Besitzer von Freestyle: Hiermit funktioniert EXPAND im Cubase-Modus (wohl wegen der MROS-Kompatibilität), und man kann beispielsweise ein schön gesampeltes Saxophon als Melodiestimme einsetzen.

Fazit

Es gibt ein "vergleichbares" Programm für den PC: den Gigasampler von Nemesys (der Name kommt mir irgendwie bekannt vor...). Dieses kann 64 Stimmen gleichzeitig spielen, läuft völlig ohne Probleme neben dem Sequenzer her, und die Sample-Größe ist nur von der Festplattengröße abhängig. Der Haken an der Sache? Dieses Programm kostet 2000 DM und läuft erst auf einem Pentium 400 stabil. Allen, die noch nicht der allgemeinen Gigantomanie verfallen sind, aber trotzdem an einem Software-MIDI-Sampler interessiert sind, müssen also bei EXPAND zugreifen, und es freut mich natürlich besonders, dass diese Leute dann einen Falcon brauchen, wenn sie nicht sowieso schon einen haben. Wieviel mit den bisherigen Features in der Praxis anzufangen ist, mag jeder für sich selbst entscheiden - schließlich sind die Anwendungsgebiete so weit angelegt, dass jeder vielleicht über eine andere kleine Unzulänglichkeit hinwegsehen kann. Wenn die Update Modalitäten einigermaßen moderat sind und eine kontinuierliche Weiterentwicklung erfolgt- schließlich gibt auch der Programmautor in seinem Vorwort zu, dass sein Programm noch nicht perfekt ist- kann Expand m. E. aber auf jeden Fall empfohlen werden. Die Begrenzungen in der Sounderzeugung sollten zwar dringenst bearbeitet werden, können aber sicherlich durch die Verwendung geeigneter Beschleuniger (Centurbo II, Afterburner, vielleicht sogar schon Nemesis) gemildert werden. Um preislich aber wirklich so attraktiv zu sein, wie es auf den ersten Blick scheint, sollte EXPAND aber auch auf Standardfalcons sicher und zuverlässig seinen (mehrstimmigen) Dienst verrichten. Hoffen wir, dass dies wirklich erst der Anfang eines wirklich sehr vielversprechenden Projektes ist.

Info-Box 3: Nützliche Programme zur Zusammenarbeit mit EXPAND

Sondigit (Freeware Sampler aus Frankreich; zum Erzeugen und Bearbeiten von Samples)
Studio Son/ Soundstudio (Freeware HD-Recording-Programm; ermöglicht ebenfalls das
Erzeugen von Samples)
525 (Samplekonvertierprogramm)
CD-Recorder (Speichert Tracks von Audio-CDs als WAV-File auf Festplatte)

EXPAND ist in Deutschland erhältlich beim

FALKE VERLAG
Moorblöcken 17
24149 Kiel
Preis: 139,- DM

Testkonfiguration:
Atari Falcon 030
16 Farben 640*480
PowerUp 2 (32Mhz)
Blow Up
NVDI 5, Cubase 3.01


Henrik Klüver
Aus: ST-Computer 02 / 1999, Seite 16

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