Milan, der ATARI-Nachfolger

Auf der ATARI-Messe konnte der Milan erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Was dort zu sehen war, wie das Publikum reagierte und ob die Händler- und Entwicklerkonferenz erfolgreich verlief, wollen wir hier berichten.

Vorwegzunehmen ist, dass der Milan weder verkaufsbereit noch vom Endkunden zu bedienen war. Lediglich das Motherboard und die Startphase sowie der Desktop konnten begutachtet werden.

Genug, um zu sehen, dass das Gerät tatsächlich existiert und nicht nur ein Gerücht ist. Doch wie kam es dazu, dass der Raubvogel noch nicht verfügbar war? Hierzu Uwe Schneider, der Chefentwickler des Milan:

"Die Milan GmbH ist in den vergangenen Wochen mit Absicht noch nicht an die Öffentlichkeit getreten, da wir damit rechnen mussten, dass der eine oder andere Arbeitsschritt eine nicht im voraus kalkulierbare Entwicklungsdauer benötigen würde.

Ausschlaggebend für die geringfügigen Verzögerungen war jedoch die Entscheidung, das System mit einem TOS 4.04 und nicht wie beabsichtigt mit einem TOS 3.06 zu betreiben. Nachdem die Vorversion schon zufriedenstellend lief, mussten wir rund 8 Wochen Arbeit verwerfen. Wir sind uns aber sicher, dass sich diese Entscheidung letztendlich auszahlen wird."

Nachdem wir in der vergangenen Ausgabe nur einen Video-Schnappschuß des Milan-Motherboards ergattern konnten, gibt es nun ein aussagekräftiges Photo, das auch schon im Milan-Messe- und -Händlerprospekt seine Verwendung findet.

Deutlich zu sehen ist, dass das Motherboard des Milan nicht nur sehr aufgeräumt, sondern auch sehr PC-verwandt aussieht.

Alle wichtigen Elemente für den Grundbetrieb des Rechners sind enthalten. So wird sicherlich auch das Intel Logo oben links in der Ecke auffallen. Doch keine Bange, hierbei handelt es sich nur um die alles entscheidende und wichtige PCI to ISA Bridge. Dieses Element dient der Einbindung des PCI-Busses in der Form, dass es keinerlei Einschränkungen beim Datenfluss in PCI-Bus- und in entgegengesetzte Richtung gibt. Damit ist das Tor für den Einsatz aller nur erdenklichen Zusatzkarten des PC-Marktes geöffnet.

Auch der Einsatz des TOS 4.04 scheint uns viel Sinn zu machen. Nicht nur, dass es das modernste ATARI-Betriebssystem ist, es ist von Haus aus für den Einsatz von VGA-Grafikauflösungen, Farbicons usw. vorgesehen, so dass die Anpassung entsprechender Hard- und Software zukünftig erheblich erleichtert werden dürfte.

Die Resonanz des Publikums

Der Milan-Stand war während der gesamten Messezeit dicht umringt, so dass keiner der Präsentatoren auch nur die geringste Pause erhielt. Insgesamt wurden tausende von Prospekten seitens der Interessenten mitgenommen, um sich noch näher über das System zu informieren.

Doch auch der Dialog zwischen Entwickler und Besucher trug seine Früchte. Es konnten deutlich die Hauptbedürfnisse der potentiellen Käufer aufgespürt werden. Eben das machte die Präsentation des Milan in diesem Entwicklungsstadium wiederum sehr interessant, denn hier wurde dem Anwender kein fertiges System und Konzept präsentiert, sondern eine Basis vorgestellt, deren Weiterentwicklung seitens der Besucher erheblich beeinflußt wurde. Die Milan GmbH konnte schon auf der im Anschluss an den ersten Messetag folgenden Entwickler- und Händlerkonferenz bekannt geben, welche Zusatzentwicklungen mit welcher Priorität verfolgt würden.

An erster Stelle steht die Anpassung der SCSI-Karte, die mit dem Erscheinen des Milan auch erhältlich sein soll. Diese wird den internen und externen Anschluß von SCSI-Geräten aller Art ermöglichen, so dass ATARI-Anwender ihre Zusatzperipherie weiterhin nutzen können.

Ebenfalls wichtig wird die Einbindung von MIDI- und ROM-Ports sein. Hier sind verschiedene Varianten möglich.

Zunächst wird die Anpassung der Midifähigkeit herkömmlicher Soundblaster-Soundkarten an das TOS des Milan angepasst, so dass der Anwender mittels des Einsatzes von Kabeiadaptoren auch mehrere vollständig eingebundene MIDI-Ports besitzt. Zusätzlich hierzu wird mw-electronic den 3fach-ROM-Port für den Hades auch an den Milan anpassen.

Später wird es eventuell auch eine integrierte Lösung hierfür geben.

Eine starke Nachfrage gab es auch bezüglich der Falcon-Kompatibilitätskarte, die nach den Erkenntnissen dieser Messe auf jeden Fall auch in Angriff genommen und im kommenden Jahr angeboten wird. Mit Hilfe dieser wird der Milan zum vollwertigen Falcon030-Nachfolger mit rund 8facher Geschwindigkeit avanciert.

Schließlich wird auch an einer Pentium-Karte gearbeitet, die sämtliche Milan-Hardwarekomponenten nutzen kann und daher lediglich ein eigenes BIOS sowie eine eigene Pentium-CPU benötigen wird. Erstmals wird es also möglich sein, zwei vollwertige Rechnersysteme in einem Gehäuse zu einem unschlagbar günstigen Preis anzubieten.

Die Konferenz

Wie bereits eingangs erwähnt, gab es am Abend des ersten Messetages eine Konferenz der Milan-Entwickler. Diese luden sowohl Händler als auch Entwickler ein, um gemeinsam mit ihnen die Zukunft des Milan zu diskutieren, das System vorzustellen und die Form der Zusammenarbeit zu konkretisieren.

Erfreulich in diesem Zusammenhang sei zu erwähnen, dass über 70 Teilnehmer zu diesem Treffen erschienen - von Lethargie also keine Spur. Verschiedene Themen wurden hier in einer gut einstündigen Debatte besprochen. Zunächst ging es um die Hardware des Milan, dessen Ausbaufähigkeiten und die Anpassung von PC-Peripherie aller Art. Diverse Entwickler stimmten dafür, die Anpassung von Netzwerksoftware (WIN95kompatibel) usw. voranzutreiben. Auch mw-electronic zeigte sich mit dem über knapp 2 Jahre hinweg gewonnenen Wissen rund um den Hades kooperativ und bot an, sich um die Produktpalette rund um den Milan zu bemühen. Die Firma SoundPool, die weltweit viele Kunden aus der Musik-Branche beliefert, wird sich u.a. um die Soundanpassungen des Milan sowie dessen Etablierung in größeren und kleineren Musikstudios bemühen.

Nach Klärung dieser Punkte stellte die Milan GmbH das Vertriebskonzept des Milan vor. Demnach soll es wieder ein organisiertes Netz aktiver Händler geben, die den Milan vor Ort zum Verkauf anbieten und Serviceleistungen rund um die Hard- und Softwarebetreuung anbieten. Die "Milan System Center" werden vor Ort Präsentationsrechner aufstellen und mit einem umfangreichen Werbematerial ausgestattet sein. Ihre Aufgabe wird es sein, Komplettsysteme nach den Wünschen der Anwender zusammenzustellen. Gemeinsam mit der Milan GmbH wird bei jedem der Milan-Händler eine Milan-Party für ATARI-Anwender veranstaltet, bei dem ein Milan- Roadshow-Team im jeweiligen Ladenlokal den Greifvogel präsentieren wird. Dank der Kooperation diverser Fachzeitschriften wird es möglich sein, den inoffiziellen ATARI-Nachfolger über den Rahmen der ST-Computer & ATARI-Inside hinaus auf redaktioneller Basis vorzustellen. Anzeigen in den einschlägigen und für den ATARI-Markt relevanten Fachzeitschriften sind außerdem geplant.

Erstmals wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass der Milan tatsächlich auch für ein 68060er System ausgelegt ist. Dieses wird allerdings nicht vor Mitte des kommenden Jahres verfügbar sein. Ein Upgrade ist für jeden Laien zu realisieren und wird voraussichtlich keine Zusatzkosten gegenüber dem Komplettkauf eines 68060- Milan-Systems bedeuten, so dass der Einstieg mit dem kleineren System auf gar keinen Fall verlustbringend sein wird.

Darüber hinaus hat das Milan-Team angekündigt, dass der jetzige Milan erst der Anfang einer neuen Serie von Rechnern sein wird. Derzeit gilt es, ein konkurrenzfähiges und schnelles System auf dem Markt zu platzieren, das insbesondere durch sein Preis-/Leistungs Verhältnis besticht. Zu bedenken ist hierbei, dass das Milan-Board den qualitativen Ansprüchen hochwertiger High-End-PC-Boards entspricht und sich nicht mit Billigsystemen messen sollte.

Um so erfreulicher ist der nach wie vor anvisierte Einstiegspreis in Höhe von rund 1500,- DM für ein komplett lauffähiges System, das nur noch an einen VGA-Monitor angeschlossen werden muss. Sollte der Markteinstieg glücken - die positive Resonanz der Endkunden und insbesondere aber auch der Händler lässt dieses vermuten - so können die ATARI Anwender mit einer exzellenten Weiterentwicklung des ATARI-TOS sowie der Hardwarebasis rechnen. Wer weiß, in den Schubladen der Milan GmbH liegen schon Pläne für ausgereifte RISC-Milane ...

Ach ja, bevor wir es vergessen: Der Milan wird auf der ATARI-Messe in Paris lauffähig mit Anpassung erster Karten zu bewundern sein. Der Vertrieb über die Milan-System-Center wird im ersten Quartal 1998 erfolgen.



Aus: ST-Computer 11 / 1997, Seite 22

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