Interview zum ST-Milan

Seit Ende 1996 schwirrt das Gerücht um einen neuen ATARI-kompatiblen Rechner in den Köpfen der ATARI-Anwender herum. Wir konnten die Hardwareentwickler erstmals zur Preisgabe handfester Informationen überreden.

Einige Wochen hat es nun keine News mehr zum neuen ATARI-kompatiblen Rechner gegeben. Gerüchte, das Projekt sei eingestellt worden, können aber glücklicherweise dementiert werden. Inzwischen haben uns viele Leserbriefe zu diesem Thema erreicht. Der Tenor ist insgesamt sehr positiv und lässt uns hoffen, dass der Erfolg des neuen Rechners auch dementsprechend sein wird.

Nach Projekten wie z.B. der Produktion des Eagle, der einst als Hoffnungsträger des ATARI-Marktes gehandelt wurde, sind die Anwender teilweise vorsichtiger mit dem Versprühen vorgegriffener Euphorie geworden. Und das ist auch gut so! Wir haben die Fragen und Meinungen unserer Leser zusammengefasst und uns mit den Entwicklern in Verbindung gesetzt, um Hintergrund-Informationen bezüglich des Milan zu klären.

Red. Fangen wir gleich mit einer sehr wichtigen Frage an: Weshalb wollt ihr euch nicht der Öffentlichkeit vorstellen und selbst an die Anwender herantreten?

US: Wir sind nicht ganz unbekannt in der ATARI-Szene, da wir auch schon in der Vergangenheit einige Hardwareprojekte realisiert haben. Es wäre aber sehr lästig, wenn wir aufgrund vieler Anrufe von Kollegen und Kunden nicht mehr zum Arbeiten kämen. Neben der Entwicklung des Milan arbeiten wir noch an einigen anderen Projekten, so dass wir uns unsere Zeit gut einteilen müssen. Wenn es wirklich so weit ist, treten wir auch an die Öffentlichkeit!

Red. Nun, wir haben in den vergangenen Tagen mit Neuigkeiten ein wenig auf dem trockenen gesessen. Kommt es zu den Verzögerungen bei der Entwicklung?

US: Ihr seid eigentlich zu früh an die Öffentlichkeit getreten - früher als es uns wirklich lieb gewesen wäre. Uns war von vornherein klar, dass es nach dem Entwurf des Konzeptes und der Entwicklung unseres Prototypen zu vielen kleinen Optimierungen kommen würde, die leider sehr zeitintensiv sind. Aber keine Bange, wir sind voll im Zeitplan - in unserem!

Red. Kommen wir zu den technischen Fragen: Einige Anwender, vornehmlich wohl relativ professionelle Anwender, sind der Meinung, dass es sinnlos sei, heute noch auf die alte 68xxx-Reihe von Motorola zu setzen, während andere Konzerne nur noch an RISC-Rechner denken.

US: Wir haben dieses Thema lange von allen Seiten her betrachtet und sind zu dem Schluß gekommen, auf das richtige Pferd zu setzen. Sieh es doch mal so: Derjenige, der seinen ATARI heute noch im Zeitalter der MMX-PCs und Power-Macs täglich verwendet, wird kaum im Profi-Bereich tätig sein (es sei denn z.B. bei Musik- oder DTP-Anwendungen). Wir müssen uns an den Ansprüchen des gemeinen ATARI-Anwenders orientieren. Überlege doch nur, welche geballte Ladung an Vorteilen der Milan bieten wird: Er wird sehr preiswert, rund zweimal schneller als ein ATARI-TT und somit auch 6-8 mal schneller als ein gewöhnlicher ST. Hinzu kommt, dass ATARI-Software aufgrund der zuletzt schwachen Hardware stets so minimalistisch und effektiv programmiert wurde, dass eine weitaus geringere Hardwareleistung ausreicht, um die Ergebnisse eines schnell getakteten PCs zu erreichen. Papyrus z.B. verrichtet auf unserem TT gleiches wie Winword auf einem Pentium 75.

Red. Kannst du schon genaue Angaben zum Preis machen? Liegt der von uns vorhergesagte Wert in Höhe von ca. 1200,- für eine Basisausstattung im realistischen Bereich?

US: Genau das ist die Preisregion, die wir anstreben und die wir mit einem RISC-Prozessor auch niemals erreichen könnten. Bei diesem Preis lohnt es sich für jedermann, einen neuen „ATARI“ zu kaufen. Ein wenig hängt die endgültige Summe aber von der allgemeinen Preisentwicklung im Bereich der Festplatten, des RAMSpeichers etc. ab.

Red. Kommen wir zu den Werbemaßnahmen. Die uns zugesandten Briefe decken sich in einem Punkt: Wenn für diesen Rechner nicht viel Werbung und Trara betrieben werden sollte, wird auch er ein Nischendasein fristen müssen. Habt ihr schon Marketingstrategien ausgearbeitet?

US: Sicherlich sind auch diese in Arbeit, aber wir können uns nicht teilen. Wenn es nach uns ginge, ließen wir das zuletzt aktive ATARI-Händlernetz wieder aufleben, wobei Neuhändler ebenfalls willkommen wären. Wir würden Stützpunkte, die über den Milan und weiteres Zubehör verfügen sollen, einrichten. Es sind konkret Gemeinschaftsanzeigen in wichtigen Printpublikationen geplant. Außerdem sollen Entwickler so viel Support wie möglich erhalten. Allerdings müssen wir auch einräumen, dass das Kapital sicherlich begrenzt ist. Vielleicht sollten wir dieses Projekt ähnlich anpacken, wie eine Hardwareschmiede des Amiga-Marktes, die dort ebenfalls an einem Clone arbeitet. Diese Jungs haben nämlich eine Aktiengesellschaft gegründet, deren Mitglieder aus dem Bereich der AMIGA-User stammen. So hilft sich der Markt unter der Leitung eines Entwickler- und Supportteams selbst.

Red. Ach ... ! Wie soll das ablaufen? Kann sich jeder ATARI-User am Milan beteiligen?

US: Klar, das wird in den USA seit langem erfolgreich praktiziert. Es könnte (ich sage bewusst „könnte“) so laufen: Wir gründen eine Aktiengesellschaft, die sich ausschließlich um die Entwicklung und den Support des Milan kümmert. Jeder, der dieses Vorhaben gewinnbringend unterstützen möchte, kann Aktien erwerben. Damit wird das Grundkapital der AG angehoben, große Werbemaßnahmen könnten gestartet werden und ein vernünftiger Support wäre auch gewährleistet. Dabei würde jeder einzelne nur einen sehr geringen Beitrag leisten, der möglichst auch gewinnbringend wäre. Aber das alles ist noch Vorstellung und entspricht nicht der Wirklichkeit.

Red. Eine weitere Frage, die unsere Leser beschäftigt, ist die nach dem Betriebssystem des Milan. Wie sieht es damit aus?

US: Dazu wollen wir uns noch nicht äußern, denn derzeit sind noch diverse Alternativen im Gespräch. Auf jeden Fall soll es modern und dennoch schlicht und praktisch wie das gute alte TOS sein. Aufgeblähte Riesensysteme, die speicherfressende und systembremsende Funktionen mit animierten Bildchen bieten, wollen wir im Milan auf keinen Fall sehen!

Red. Das dürfte ATARI-Anwender freuen. Kommen wir zum Thema „Der Milan und die weite Welt ...“: Wird man mit dem Milan bequemer als bislang mit ATARI-Rechnern im Internet surfen können?

US: Das hängt von den bis dahin zur Verfügung stehenden Programmen für den ATARI ab. Da der Milan aber die Grafikfähigkeiten eines PC oder Mac besitzt, dürfte das Surfen mit unserem Raubvogel optisch ansprechender sein.

Red. Fassen wir also noch einmal zusammen: Aus weichem Grunde sollte sich ein ATARI-Anwender heute einen Milan kaufen?

US: Das liegt doch auf der Hand: Er erhält einen modernen PCI-Bus-Rechner mit einer für den Heimbedarf vollkommen zufriedenstellenden Performance. Wie der Anwender das System anschließend ausbaut, ist ihm selbst überlassen. Es sind nicht mehr die teuren Sonderzubehörteile wie bislang erforderlich. Wer einen Milan hat, kann in jeder Computerabteilung sein Zubehör erwerben: größere Festplatten, CD-ROM-Laufwerke, Grafikkarten, Tastaturen, VGA-Monitore USW.

Jede getätigte Investition könnte theoretisch auch für andere Computersysteme genutzt werden. Der Milan ist folglich eine Investition in die Zukunft!

Red. Und wann kriegen wir ihn endlich zu sehen?

US: Ihr bestimmt schon in wenigen Wochen. Alle anderen können das Gerät mit Sicherheit auf der „Internationalen ATARI-Messe’97“ bewundern.
Spätestens!

Red.



Aus: ST-Computer 05 / 1997, Seite 24

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