Any Motion System - Trickfilm mit dem ATARI ST

Wer sagt da. mit dem ST sei kein professionelles Arbeiten möglich? Der hat noch nichts von Any Motion System gehört! Mit diesem System ist es problemlos möglich, über den ST und eine entsprechenden Ausrüstung Trickfilme zu erstellen. Und wer hat nicht schon vom eigenen abendfüllenden Trickfilm geträumt?

Wer durch Hünfelden fährt, einen Ort im Rhein/Main-Gebiet, gut eine Stunde von Frankfurt entfernt, entdeckt in der Laistraße ein nicht vermutetes Trickfilmstudio. In einem ehemaligen Lebensmittelgeschäft betreibt Andreas Munck seit fast 3 Jahren, neben seinem Hauptsitz Berlin, die Firma Any Motion System, ein Trickfilmstudio mit Atelierbetrieb.

Überwältigend ist der Eindruck, den man beim Eintreten in das Studio gewinnt. Ein ST wurde mit einem VME-Bus ausgerüstet und vertut nun über eine Speicherkapazität von 12 MB. Sowohl der Tricktisch wie auch der Fastline-Tester werden mit dem ST und einer speziell dafür geschriebenen Software betrieben. Hinzu kommen noch: Motorsteuerung für 12 Achsen Videorecorder und ein Schnittrecorder, die ebenfalls mit diesen Systemen gekoppelt sind. Das Studio ist auf das Feinste ausgeleuchtet und bietet durch Hintergrundaufbauten einen wunderbaren Bildeindruck. Bild 1 zeigt Ihnen einen Blick auf die Apparaturen.

Motion Control

Unter dem Namen „Motion Control“ bietet Andreas Munck eine Software sowie schrittmotorgesteuerte Tricktische an - zur Zeit bis zu 16 Motoren. Um Multiplaneffekte zu erzeugen, d.h. auf mehreren Ebenen zu arbeiten, können noch weitere Lineareinheiten an dem Tisch befestigt werden, die ebenfalls mit einem Motor ausgerüstet sind. Ein einfaches Beispiel: Der Kameramann soll dem Zuschauer vermitteln, daß eine Szene nicht nur auf einer Bildebene stattfindet. Bei unserer Szene soll ein Rabe auf einem Waldweg laufen, wobei im Vordergrund ein Zaun und im Hintergrund Wolken vorbeiziehen. Nehmen wir an. der Kameramann hat sich drei Ebenen eingerichtet, dann wird er auf der obersten, der, die der Kamera am nächsten ist, den Zaun auflegen. Der Rabe, laufend auf dem Waldweg, liegt auf der mittleren Ebene, und die Wolken als Hintergrund werden auf der von der Kamera am weitesten entfernten Ebene, also der untersten, befestigt. Der Kameramann gibt jetzt die Fahrtrichtung und die Geschwindigkeit der einzelnen Ebenen in das Motion Control Programm ein. Um Vorder- oder Hintergrund unscharf darzustellen. kann das motorisierte Objektiv ebenfalls durch den Computer gesteuert werden.

Die Auflösung des Tisches beträgt 1/100 bei einer Fahrgeschwindigkeit von 12,5 cm/s. Dieses Arbeiten an dem und über den Computer ist für jeden Kameramann. der bei seiner Arbeit ein hohes Pensum an Konzentration und Genauigkeit aufbringen muß. eine große Erleichterung.

Zwei Trickfiguren wurden getrennt geladen...

Bleiben wir bei unserem Beispiel. Der Rabe kommt ins Bild. Die Wolken ziehen im Hintergrund. Wenn der Rabe die Bildmitte erreicht hat. beginnt die „Kamera“ mitzuschwenken und zu zoomen. Das muß man sich so vorstellen: Die Kamera steht starr auf einem Stativ oder hängt an Säulen, wo sie sich hoch und runter bewegen kann. Die Kamera schaut auf einen Tisch, der sich bewegen läßt - in unserem Fall 3 Ebenen: Ost/West, Nord/Süd und Zoom. Üblicherweise wurden und werden diese Bewegungen von Hand gekurbelt, pro Bild eine Position. Also eine lineare Bewegung der Wolken pro Bild z.B. 2 mm Vorschub. Wenn nun auf der mittleren Ebene auf den Raben mitgeschwenkt werden soll, kann man z.B. die Bewegung auf etwa 10 Bildern beschleunigen lassen 0,2: 0,4; 0.6; 0,8;...2,0 mm Vorschub pro Bild, dazu natürlich den Vordergrund auf Ebene 3 gleichzeitig. Optisch entstünde nun der Eindruck, als würden die Wolken während des Schwenks langsamer oder schneller, je nach Richtung. Um dies zu vermeiden, muß man die Differenz werte, die auf der „Spielebene“ des Raben gefahren werden, auf die Ebene der Wolken addieren oder davon subtrahieren können. Man sieht, ein bißchen hat Trickfilm immer noch mit Zauberei zu tun.

Konnte man sich früher tagelang mit dem Berechnen und Testen von Fahrten herumschlagen, so geschieht dies heute nach Minuten, und sie werden auch noch automatisch abgearbeitet! Andreas Munck sagt: „Wir hoffen ernsthaft, daß die gewonnene Zeit zur Steigerung der Kreativität im Trickfilm eingesetzt wird und nicht zu noch größerem Produktionsdruck führt.“

... und anschließend miteinander kombiniert.

Der Kameramann/die Kamerafrau wissen genau, wie eine Fahrt aussehen soll. Die Motion Control ist deshalb gebaut wie ein Werkzeug - für die Hand der Anwenders. Dabei lernt der Amateur schnell professionell zu werden, ihre wahre Kraft aber entfaltet die Motion Control in der Hand eines versierten Professionals.

Natürlich werden alle Bewegungs- und Beschleunigungsformen auf Geraden und Kurven unterstützt; Kreise, Ellipsen, Spiralen werden einfach gerechnet, der Speicher bietet alle Möglichkeiten von Blockoperationen auf berechneten Bewegungen etc.

Das wesentliche aber bleibt die logische Ergonomie, die sich direkt aus der Entwicklung am Arbeitsplatz ergeben hat. So ist die Anlage vor allem leicht bedienbar, auch wenn ihre Features und Optionen grenzenlos scheinen. Hier merkt man eben, daß ein Anwender für die Entwicklung zuständig ist. Nicht der Anwender soll sich an den Computer gewöhnen, der Computer muß einfach bereitstellen, was der Anwender braucht. Erstaunlich, daß dies bei keiner der reinen Branchenlösungen so flexibel zum Ausdruck kommt.

Fast-Linetester

Als Linetest bezeichnet man das Überprüfen der gezeichneten Animationsfilmphasen im Entwurfsstadium auf Film, d.h. die Bewegungen werden auf Schwarzweißfilm belichtet und meist im Handentwicklungsverfahren zur schnellen Überprüfung der Abläufe hergestellt. Lindester nennt sich auch das Programm, mit dem es möglich ist. Einzelbilder mit Mehrfachbelichtung und sofortiger Wiedergabe in 16 Graustufen durch einen Digitizer über den ST wiedergeben zu lassen. Dabei können fünf Ebenen parallel belichtet und auch zusammen auf einem Monitor betrachtet werden. Für die Bearbeitung der Bilder steht ein Fahrplan zur Verfügung. Dieser wurde dem internationalen Standardformular nachempfunden. Anhand dieses Fahrplanes und der alphanumerisch gegliederten Bildfolge kann der Kameramann genau erkennen, welche Bilder überlagert und wieviel bildweise eine Sequenz aufgenommen wurde. Im Rhythmus von 12 Bildern wird im Fahrplan immer ein Bild zur genaueren Orientierung ausgedruckt. Mit diesem Software-Instrument ist es auf sehr leichte Weise möglich, mit einem Tricktisch und einer Kamera ein Storyboard zu erstellen, um dieses z.B. dem Produzenten des Film oder dem Auftraggeber als sofort betrachtbares Ergebnis vorzuführen. Aber natürlich dient der Fast-Linetester auch der Schulung des Nachwuchses und zur schnellen Bildkontrolle für Animatoren.

Tricktisch mit eingebautem Monitor für „schnelle“ Produktionen

Was hat nun aber der ST mit der ganzen Sache zu tun? Nun, alle Bilder, die die Kamera festhält, werden parallel in den ST übertragen und im Speicher festgehalten. So können die Bilder direkt nach Belichtung einer Szene auf dem ST angeschaut werden. Bereits jetzt kann der Kameramann feststellen, ob er Belichtungs-, Bewegungs- oder Einstellungsfehler gemacht hat. Fehlerkorrekturen sind jetzt zwar nur noch im ST vornehmbar, wie z.B.: Bilder können einzelbildweise oder blockweise entfernt, eingefügt, kopiert, verschoben, kombiniert, überblendet und übereinanderkopiert werden. Durch das sofortige Besichtigen der Aufnahme erspart man sich die immer wieder auftretenden Kopierwerksarbeiten wie Entwicklung. Besichtigung des Filmstreifens am Schneidetisch, aber auch ebenfalls anfallende Arbeiten wie Material zum Kopierwerk fahren und wieder abholen etc. Normale Funktionen eines Textverarbeitungsprogrammes, die man erstaunlicherweise auch in einem Trickfilmstudio findet!

Letztendlich dient der ST bei der Angelegenheit als Vorlage für den eigentlichen Trickfilm (das Storyboard). Der muß schließlich erst noch nach dem ausgedruckten Belichtungsplan und mit den Originalzeichnungen auf 35 mm-Film hergestellt werden. Die Qualität der Aufnahmen mit dem ST reicht nicht für die Kinoleinwand, aber der ST ist damit das preiswerteste Testsystem dieser Art und absolut ausreichend.

Eine schöne Lösung für diejenigen, die gleich auf 35 mm filmen wollen, bietet Andreas Munck ebenfalls an. Statt eines Tricktisches mit Auflage, bietet er auch einen mit eingehängtem Monitor an. Der Monitor ist mit einem Rechner verbunden und zeigt mit der Bildröhre zur Kamera nach oben. Die Bewegungen der Grafik lassen sich mit Motion Control-Bewegungen kombinieren, da der Monitor mit zwei Rotationsscheiben ebenfalls Nord/Süd, Ost/West fährt. Statt die Grafik auf einer Ebene zu bewegen, kann diese Aufgabe auch der Rechner lösen. Mittels eines geeigneten Grafikprogrammes läßt man den Hintergrund über den Monitor laufen. Die digitalisierten Bilder werden über den ST aufgenommen und verwaltet. Die Qualität des Hintergrundes ist aufgrund der niedrigen Auflösung und einer daher groben Rasterung zwar nicht vergleichbar mit einem „echten Hintergrund“, aber für schnelle und einfache Produktionen vollkommen ausreichend (z.B. Titel für Dokumentarfilme). Über dem Monitor liegt die befestigte Glasscheibe des Tricktisches, auf der dann über dem Hintergrund Figuren, Masken etc. gelegt werden können.

Der ST kann sowohl bei der Motion Control als auch beim Fast-Linetester mit einem VME-Bus ausgestattet werden. Dadurch besitzt er dann insgesamt bis zu 12 MB Speicher, und es können 360 Bilder im Speicher gehalten werden, bevor man sie auf einem Datenträger (Fest- (Hier Wechselplatte) abspeichern muß. An geeigneten Komprimierungs-Algorithmen wird bereits gearbeitet, und nach letzter Meldung können bald schon bis zu 1000 Bilder pro MB im Speicher gehalten werden, bevor man sie abspeichern muß.

Ick bin all hier!

Andreas Munck wirbt mit dem Spruch „Wenn der Anwender ruft: ‚Es müßte doch auch so oder so möglich sein!’ ruft Any Motion System zurück: ‚Ick bin all hier - es geht doch! Und wenn nicht, dann machen wir es gehend!’“

Defekte Teile, ganz gleich, wo sie stecken, werden innerhalb von 24 Stunden ausgetauscht, und neben diesem ungewöhnlichen Service wird sogar noch mehr geboten. Any Motion hat mit dem 5 fach-Linetester eine Grundlage für die gesamte Produktionskontrolle geschaffen, und da er selbst sein bester Anwender ist, sucht er natürlich ständig nach Neuerungen, die er möglichst fertig einbinden könnte. Z.B. ist Andreas Munck sehr an Samplern und Tonverarbeitung interessiert, und erste Kontakte laufen schon zu zwei renommierten Software-Häusern.

„So z.B. basteln wir an einer Trickkalkulations-Software, die dem Produzenten hilft, seine Kosten genau berechnen zu können. Wenn drei Szenen auf der falschen Seite koloriert wurden und die Kamera I deshalb nur die Szene 5 bis 9 drehen kann, danach aber schon wieder für xyz gebucht ist, kann Hongkong dann in zwei Wochen die Szene 1 bis 4 einschieben?“ - „And what does it cost me in ECU?“ Ob dies ein häufig gesprochener Satz ist, kann ich nicht beurteilen - es hört sich jedenfalls sehr realistisch an. Für die reell denkenden Produzenten bietet Andreas Munck deshalb auch sein Programm Trickkalkulations-Software an, das innerhalb von 15 Minuten ausgibt, wieviel ECU (ECU bezeichnet die europäische Währungseinheit) dem Produzenten beispielsweise durch den oben genannten schlampigen Zeichner durch die Lappen gehen.

Der Linetester ist nicht vergleichbar mit einem Programm wie Creator von Application Systems, denn der Linetester zeigt seine Stärken in der Geschwindigkeit, seiner Vielfältigkeit und der Anwendbarkeit im professionellen Bereich, während Creator eher auf den alltäglichen Anwender abzielt, der mit Trickfilm nicht unbedingt seinen Lebensunterhalt bestreiten will.

Lassen wir Andreas Muncks Werbetext sprechen: „So, wie nur ein scharfes Messer schneidet, ein Luxmeter die Verteilung des Lichtes bestens anzeigt, oder der beste Weichzeichner von Hand gemacht wird, so ist unser Werkzeug in die Hand, den Verstand und die Praxis des Benutzers hineingearbeitet.“ Andreas Munck sagt diesen Satz nicht unbedacht: Er hat selbst fast 20 Jahre als Trickkameramann gearbeitet und weiß um die Probleme, die ein solcher Beruf mit sich bringt. Aus diesem Wissen heraus hat er seine Programme entwickelt. Die neuesten Entwicklungen berücksichtigen mehr die Vorproduktion von traditionellem Trickfilm und sollen die Arbeit erleichtern. Qualität verbessern und Lasten abnehmen.

Teilansicht des Aufbaus im Trickstudio (links der schrittmotor-gesteuerte Tricktisch)

Preise

Was kostet nun ein solches System? Der Hobby Grafiker wird es sich sicher nicht leisten können. Any Motion bietet sein System aber trotzdem zu einem unschlagbaren Abholpreis“ an. Der Fast-Linetester 3.0 mit Mega ST 4, Megafile 30, Realtime -s/w Digitizer, s/w-CCD-Kamera, passendem Programm und allen Anschlüssen muß mit immerhin noch 18.200.- DM bezahlt werden. Für Schulen gibt es Sonderrabatte! Vergleichbare Programme auf anderen Rechnern (MS-DOS, AMIGA) kosten wesentlich mehr und beherrschen keine Mehrfachbelichtung. Beachtet man die Entwicklungszeit des Programms und die Leistungen des Systems, ist der Preis keinesfalls übertrieben, sondern gerechtfertigt.

Bezugsquelle.

Any Motion System Trickanlagen und Atelierbetrieb Andreas Munck Laistraße 9

6257 Hünfelden 2 - Dauborn

MP

Die „kleine“ Ausführung mit dem Fast Linetester zum Mitnehmen


Aus: ST-Computer 05 / 1990, Seite 10

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