Mortimer - Euer Lordschaft haben geläutet?

Unter dem Namen Mortimer liefert Omikron.Software jetzt ein Programm aus, das den täglichen Umgang mit dem ST erleichtern soll. Frei nach dem Motto “Euer Lordschaft haben geläutet?" meldet sich Mortimer mit Glockengeläut nach Tastendruck.

Bild 1: Die Hauptauswahlbox des fleißigen Dieners

All die Funktionen, die im Desktop nicht oder nur spärlich vorhanden sind, sollen durch Mortimer ergänzt werden. In Bild 1 erhalten Sie bereits einen groben Überblick über die von Mortimer gebotenen Funktionen. Da hätten wir als ersten und wohl umfangreichsten Punkt den Editor (s. Bild 2). Es ist ein Texteditor, der mit umfangreichen Funktionen ausgestattet ist und auch Texte verträgt, die 500 kB lang sind (das hängt natürlich von der Größe Ihres Arbeitsspeichers ab). Alle für einen Editor üblichen Funktionen, wie Laden. Speichern, Block laden und speichern, Blockanfang und -ende markieren. Block löschen, bewegen, kopieren, ausschneiden und verstecken, usw. stehen dem Anwender zur Verfügung. Schön ist, daß die Ersetzfunktion auf einen Block beschränkt werden kann. Außerdem kann der Inhalt des Editors mit dem des eingebauten Drucker-Spoolers vertauscht werden. Abgesehen davon, daß man mit diesen üppigen Funktionen sehr komfortabel Texte bearbeiten kann, besteht auch die Möglichkeit, Bilder in den Editor zu laden. Dabei können Bilder im Screen- (PIC), GEM-Image-(IMG) und Degas-Format (PH, PI2, PI3) verwendet werden. Leider können die Bilder aber nur gezeigt und nicht ediert werden. Ein Nachteil des Editors soll nicht unerwähnt bleiben: Wenn man einen Text, der sich über den gesamten Bildschirm erstreckt, nach unten scrollt, verdreifachen sich einige Zeilen, bis man das Scrolling stoppt.

Ähnlich einem Utility, das bereits in der ST-Computer veröffentlicht wurde, kann man mit der Lupenfunktion den Bildschirm vergrößern, um Details besser erkennen zu können. Leider verhält sich der ST inkonsistent, wenn man eine Funktion ausführen möchte (Fenster schließen. Programm starten etc.) und verabschiedet sich. Wenn man allerdings nur etwas vergrößern möchte und sofort wieder den normalen “Maßstab” einstellt, passiert nichts.

Standardfunktionen

Die üblichen Funktionen, die aus den meisten Shells und Utilities bekannt sind, können natürlich auch bei Mortimer angewählt werden, es sind Formatieren, Kopieren, Umbenennen, Löschen und Ordner anlegen (s. Bild 3). Dabei wurden allerdings die spärlichen Desktop-Funktionen erweitert. So können beim Kopieren beispielsweise nach der Selektion von Dateien die Fileselectboxen hin- und hergescrollt werden, ohne daß die Selektion aufgehoben wird. Auch ganze Ordner können angewählt werden. Wem diese Möglichkeiten noch nicht komfortabel genug sind, der kann auch Wildcards (“?” und “”) benutzen, um eine Auswahl zu tätigen (etwa “.TXT" oder “*.BAK"), alle passenden Dateien werden automatisch selektiert.

Ihr ergebener Diener bietet auch eine eingebaute RAM-Disk (s. Bild 4), deren Inhalt auch nach einem Reset (Warmstart) noch erhalten bleibt. So müssen Sie sich um Ihre wichtigsten Daten keine Sorgen mehr machen. Die RAM-Disk ist flexibel, d.h., sie ist immer nur so groß, wie ihr derzeitiger Inhalt und paßt somit ihre Größe dynamisch an.

Wer noch kein TOS 1.4 oder 1.6 besitzt, wird den Reset-Button sehr begrüßen. Mit ihm läßt sich ein Kalt- oder Warmstart durchführen, um allen Datenmüll aus dem Speicher zu entfernen. Vorteilhaft: Mortimer bleibt bei einem Warmstart im Speicher erhalten und muß nicht neu geladen werden. Damit bleibt natürlich neben dem Inhalt der RAM-Disk auch der des Editors bestehen. Man hat also Wert auf Datensicherheit gelegt.

Haben Sie auch schon das Bedürfnis verspürt, einen Teil des aktuellen Bildschirms als Hardcopy auf Diskette bzw. Festplatte abzuspeichern? Für diesen Zweck stellt Mortimer ein Lasso zur Verfügung, mit dem der entsprechende Bildschirmbereich eingekreist und dann abgespeichert werden kann, um ihn mit einem beliebigen Zeichenprogramm weiterverarbeiten zu können (s. Bild 5). Dadurch wird es auch möglich, nur Dialog- oder Fileselectboxen abzuspeichern, da Mortimer auch dann aufgerufen werden kann, wenn entsprechende Boxen auf dem Bildschirm erscheinen.

Was einem Utility heutzutage auf keinen Fall fehlen sollte, bietet auch Mortimer: eine Quickmouse. Der Mausbeschleuniger kann sogar so schnell eingestellt werden, daß der Zeiger sich pro Schritt um 300 oder mehr Pixel weiterbewegt. Ob das sinnvoll ist, sei dahingestellt. Leider ist die Einstellung der Mausbeschleunigung etwas kompliziert (s. Bild 6) und wohl eher für Mathematiker gedacht. Das flinke Tierchen kann sehr schnell so eingestellt werden, daß sich der ST nicht mehr bedienen läßt. Sollte das Vorkommen, kann man einfach während der Bewegung die ALT-Taste drücken, um die Beschleunigung auf den Faktor 0 zurückzuschrauben.

Die Arbeit im Hintergrund

Haben Sie sich auch schon darüber geärgert, daß lange Texte immer viel Zeit benötigen, bis sie ausgedruckt sind? Vergessen Sie den Ärger: Mortimer bietet einen Drucker-Spooler. der sowohl mit der seriellen als auch mit der parallelen Schnittstelle funktioniert. Der Spooler arbeitet dynamisch, d.h. er paßt sich automatisch dem benötigten Speicherplatz an. Hier sollte man aber bei Programmen mit eigenen Grafik- oder Laserdrucktreibern aufpassen, da diese oftmals zum Aufbau von Druckseiten viel Speicher benötigen und dieser so sehr schnell voll werden kann. Es besteht aber die Möglichkeit, per Knopfdruck den Ausdruck aus dem Spooler oder den Eingang in diesen sperren, eben wenn man zum Beispiel zu wenig Speicher zur Verfügung hat oder ein anderes Programm auf jeden Fall noch viel Speicher benötigt.

Ersteres ist z.B. auch ganz praktisch. wenn man kontrollieren möchte, was das ein oder andere Programm zum Drucker schickt. Einfach den Ausdruck aus dem Spooler sperren und seinen Inhalt in den Editor wechseln. Das ist zur Erstellung von Druckeranpassungen gut geeignet. Für den Ausdruck besteht zusätzlich eine Zeichenkonvertierungsmöglichkeit, durch die beliebige Zeichen (z.B. das ungewollte Peseta-Zeichen gegen das gewollte "ß") automatisch geändert werden können. Für Grafikdruck muß man den Konverter leider von Hand abschalten, da er Grafik nicht von selbst erkennt und ansonsten todsicher mehr oder wenige hübsche Effekte in den Bildern auftreten. Der Spooler selbst prüft alle 1/200 Sekunde, ob der Drucker bereit ist, ein weiteres Zeichen zu empfangen, und sendet es, sofern das der Fall ist.

Virenschutz

Einzigartig ist in Mortimer der Schutz vor Link-Viren. Man kann einstellen, welches Programm auf welche Dateien zu greifen darf. Wenn zum Beispiel eine Datei namens FOOBAR.PRG geöffnet wird, ist sofort Mortimer am Start und beschwert sich, daß das Programm XYZ.TOS auf FOOBAR.PRG zugreift, und möchte wissen, ob XYZ das auch darf. Nun läßt sich einstellen, ob XYZ nur auf FOOBAR, gar nicht, oder auf alle Dateien zugreifen darf. Natürlich lassen sich diese Einstellungen auch vor dem Start von Mortimer vornehmen und müssen nicht immer wieder aufs neue gemacht werden. Dies scheint mir ein überaus gelungener Schutz vor Viren zu sein und sollte (hoffentlich nicht den Virenprogrammierern) als Vorbild gelten.

Einige nützliche Eigenschaften, die ich bis jetzt noch nicht erwähnt habe, sollen nicht verschwiegen werden. Mit Mortimer läßt sich auch die Festplatte parken. Dazu existiert ein eigener Button. Nach Anklicken (bzw. Antasten) wird SHiP.PRG nachgeladen und gestartet, und schon ist die Platte geparkt.

Mortimer bietet auch die Möglichkeit, Programme aus sich selbst zu starten. Diese Funktion ist aber leider sehr eingeschränkt, da sich nur Programme aufrufen lassen, die keine GEM-Routinen benutzen. Wer aber schnell aus Signum! heraus eine Diskette formatieren möchte, kann hier beispielsweise Hyperformat aufrufen, es existieren allerdings auch reichlich Utilities, die keine GEM Routinen benutzen.

Damit haben wir immer noch nicht genug: Verschiedene Standardeinstellungen können geladen werden (um z.B. beim ersten Mal den Zugriff von GFA-BASIC auf Programme zu erlauben und beim zweiten Mal den Zugriff des OMIKRON.Assemblers auf TOS-Applikationen, beim dritten Mal den Zugriff von ARC.TTP auf alles), den RAM-Disk-Inhalt vorzubestimmen oder einen anderen Standardpfad einzustellen. Mortimer erlaubt auch, in der rechten oberen Ecke eine Uhr anzeigen zu lassen, damit man auch auf keinen Fall dienstags Dallas, mittwochs Denver, samstags die Lottozahlen und sonntags die Lindenstraße verpaßt. Außerdem können alle Warnmeldungen ab- und angeschaltet werden. Wenn Sie den ASCII-Wert eines Zeichens herausfinden wollen, geht auch das: in der Kommandozeile "ASCII"" eintippen, und Sie erhalten eine vollständige Übersicht von Zeichen, die der ST ein- und ausgeben kann. Nun müssen Sie nur noch das entsprechende Zeichen anklicken, um den ASCII-Wert dezimal und hexadezimal ausgeben zu lassen.

Bild 2: Ein Blick in den Editor
Bild 3: Die kopierbox
Bild 4: Auch eine RAM-Disk darf nicht fehlen.
Bild 5: Der aktuelle Bildschirm läßt sich in verschiedenen Bildformaten abspeichern.

Tastendrücke

Mortimer bietet noch einen weiteren Vorteil, den "Tastenliebhaber” und "Maushasser” gutheißen werden: (Fast) alle Buttons lassen sich per Tastendruck bedienen. Davon ausgeschlossen sind, Gott weiß wieso, lediglich die Laufwerks-Buttons bei den Fileselectboxen, die auch weiterhin mit der Maus angeklickt werden müssen. Nicht per Button erreichen Sie die Taschenrechnerfunktion, die auch mathematisch komplizierte Terme ausrechnen kann. Ein Vorteil des Taschenrechners ist, daß er sowohl dezimal, hexadezimal als auch binär arbeitet. Wer also eine Zahl schnell in Hex-Format umrechnen muß, ist mit dem Taschenrechner sehr gut bedient. Term eingeben, Return drücken, fertig: Das Ergebnis erscheint sofort auf dem Bildschirm.

Mortimer bietet auch eine interne Zwischenablage, auf die man Texte bzw. Textblöcke aus einem Programm Zwischenspeichern und dann später in einem beliebigen Programm wieder ausgeben kann.

Tastaturmakros

Alle wichtigen Tastenkombinationen können vom Benutzer frei definiert werden (wenn Sie beispielsweise GFA-BASIC benutzen, ist die voreingestellte Kombination Alternate-Control zum Aufruf von Mortimer überaus ungeschickt). So können Sie Mortimer auf alle Programme optimal anpassen, die Sie täglich benutzen (müssen).

Wenn Sie häufig Texte wie "Sehr geehrte Damen und Herren” oder "Für die Kündigung des Angestelltenvertrages gelten die gesetzlichen Bestimmungen” eintippen müssen, grämen Sie sich nicht: Mortimer bietet frei definierbare Tastaturmakros, mit denen Sie jede Taste belegen können. Damit hat die lästige Tipperei ein Ende.

Ergo

Für 79,- DM erhalten Sie ein Programm, das recht umfangreich ist. Allerdings ist es nicht sehr leicht, sich alle Tastaturkürzel zu merken, die für ein komfortables Arbeiten notwendig sind. Gerade der Editor könnte eine Menüleiste gebrauchen, um die wirklich sehr umfangreichen Kommandos überschaubar auch per Maus erreichen zu können. Abhilfe schafft hier aber ein Druck auf die Help-Taste, worauf eine Box mit den Befehlen erscheint. Etwas störend wirkt auch die umständliche Bedienung des EDIT_INF-Programms, mit dem die grundsätzlichen Einstellungen vorgenommen werden können. Doch hier heißt es, wie so oft, daß man nach einiger Zeit recht gut durchblickt und Mortimer beherrscht. Da Mortimer allerdings immer aus jedem Programm auf Tastendruck erreichbar sein soll, ist sein Auftreten manchmal nicht ganz unproblematisch. Er muß für sein allgegenwärtiges Auftreten etliche Betriebssystemvektoren verändern und dies somit manchmal auch mit Inkompatibilität zu mancher Software bezahlen. Programme wie Tempus oder Harlekin, die selbst gerne irgendwelche Betriebssystemvektoren umbiegen, machen zur Zeit noch Probleme. Nichtsdestotrotz wird Mortimer fortan zum Diener, und Sie werden zu seiner Lordschaft, nicht umgekehrt. Wenn Sie also ein preiswertes Programm suchen, das viele wichtige Funktionen auf Tastendruck bietet, die man täglich benötigt, können Sie lordschaftlich zuschlagen.

MPHE

Bild 6: Ein Mausbeschleuniger für Mathematiker
Bild 7: Der Druckerspooler birgt ungeahnte Möglichkeiten.


Aus: ST-Computer 02 / 1990, Seite 18

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