“JAMES, servieren Sie die Aktien bitte!”

“Nirgendwo auf der Welt wird soviel Geld verdient wie an der Börse, aber auch ebensoviel verloren, und dazwischen liegt nur eine klitzekleine Schlucht.” Dieser weise Spruch wird einem unbekannten “Parkettpropheten“ nachgesagt, und die Warnung ist sehr deutlich herauszuhören. Da es nicht sehr viel bringt, da einmal ein Gerücht aufzuschnappen und dort mal einen Tip zu bekommen, muß man andere Wege finden, die “Launen der Mutter Börse” (sprich: die künftigen Kursentwicklungen) zu erahnen.

Jetzt haben wir doch mit der modernen EDV ein Instrument an der Hand, das uns hilft, Riesenmengen an Daten schnell und anschaulich zu verarbeiten. Und genau das müssen Börsenprogramme heute können. Wenn diese Programme dann auch noch mehr sind als Statistik- und Grafikmodule. dürfte dem Erfolg auf dem Parkett (so nennt man den Börsensaal) nichts mehr im Wege stehen.

Genau dort setzt “JAMES II“ an! JAMES II will mehr sein als nur ein Börsenprogramm, es muß seinem Benutzer ein Anlageberater werden. Wollen wir uns im folgenden einmal näher betrachten, ob JAMES II dieser Vorgabe gerecht wird.

Geliefert wurden uns eine Diskette und ein Handbuch aus 48 Blatt DIN A4. Die Installation lief völlig problemlos, da JAMES II keinen Kopierschutz besitzt. Also einfach eine Arbeitskopie anfertigen - fertig.

Nach dem Programmstart sieht man ein kaum spektakuläres Desktop: JAMES II lauert auf Aktivität des Benutzers, dem folgende vier Menüpunkte entgegenschimmern: ANALYSE, MASTER, DEPOT, ENDE. Das Programm ist grob in fünf Funktionskreise zu unterteilen:

1. Prognose

Ausgehend von den (im RAM bzw. auf der Arbeitsdiskette) verfügbaren Wertpapieren, wird hier eine Vorhersage versucht. Da die Kursentwicklung ja mitgespeichert ist, versucht JAMES II daraus eine Empfehlung auf einen möglichen Gewinn abzuleiten. Aber HALT: Das hat jetzt noch nichts mit Chart-Analyse zu tun. Auf dem Bildschirm erscheint für jede gewünschte Aktie getrennt ein zweigeteiltes Textfenster, das a) unter “Stand“ die aktuelle Situation schildert und b) bei “Empfehlung“ eine Maßnahme zum Kauf oder Verkauf vorschlägt.

Laut Handbuch werden nur solche Papiere berücksichtigt, die innerhalb eines halben Jahres größtmögliche Gewinne versprechen. Das sind vor allem Wertpapiere, die sich im unteren Marktsegment bewegen und deshalb in schwierigem Verhältnis zum Gesamtmarkt stehen. Es soll durch den Prognoseteil ein Wirkungsgrad (Trefferquote) der Empfehlungen von 65% erreichbar sein.

2. Master

Hier sind die “Verwaltungs- und Pflegearbeiten“ zu finden: Datei erstellen, Datei laden, neuen Titel erfassen, löschen übernehmen usw.

Jede Wertpapierdatei hat ein Fassungsvermögen von maximal 100 Titeln und ist indiziert. Über diesen Index werden Daten zur “gesamtheitlichen“ Betrachtung von z.B. Beta-Faktoren und RSI-Charts herangezogen. Da selbstverständlich mehrere solcher Wertpapierdateien erzeugt werden können, vielleicht nach Branche oder Herkunftsland getrennt, also eine unbegrenzte Anzahl von Aktien, stellt die genannte Beschränkung von 100 Titeln ein Hindernis dar.

Ein wichtiger Punkt ist “Handeingabe“. So können Kurse aus der Vergangenheit nachgetragen werden. Wir werden eine noch angenehmere Art der Datenübernahme kennenlernen, unter dem Programmteil “Kontakt“, erreichbar per Menüpunkt “DFÜ-Eingabe”, doch darüber später mehr.

3. Depot

Unter diesem Menütitel verbirgt sich eine komplette Depotverwaltung. Da wir unsere heutige Betrachtung des Programms unter das Motto “Chart-Analyse” gestellt haben, wollen wir diesem Verwaltungsteil nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken. Naheliegend ist natürlich der Gedanke, wenn man schon ein Börsenprogramm kauft, dann soll die effektive Verwaltung und Auswertung meiner eigenen Aktien doch bitteschön auch damit vonstatten gehen.

Bei jeder Transaktion berechnet JAMES II den Durchschnittspreis, den aufgelaufenen Erlös bzw. die Rendite (erzielter Gewinn). Auch Limitgebühren werden berücksichtigt. Etwas umständlich funktioniert der Paketverkauf: Sie haben an verschiedenen Tagen unterschiedliche Mengen an “XY-Aktien“ gekauft und wollen alle komplett wieder veräußern. Da jeder Kauf getrennt abgespeichert und verwaltet wird (wegen der unterschiedlich langen Erlösrechnung), müssen Sie jeder dieser Kaufnotizen eine Verkaufseintragung entgegensetzen.

Sehr interessant wird der Menüpunkt “Auswertung“, denn er bringt den Erfolg der Spekulation in ernüchternden Zahlen zum Vorschein.

4. Analyse

Um die jetzt folgenden Fachbegriffe besser zu verstehen, sollten Sie unseren Grundlagenartikel vorher gelesen haben (oder ein abgeschlossenes BWL-Studium nachweisen können).

Daß der Programmteil “Analyse” der umfangreichste ist, wird uns nach Aufruf des entsprechenden Menütitels deutlich. Es erscheint eine zweite Desktop-Leiste mit folgenden Bezeichnungen: CHARTS, NUMERIK, ZEICHNEN, EXTRA.

Nun wird eine Wertpapierdatei ausgewählt. die uns unmittelbar die Aufstellung von 100 Titeln präsentiert. Durch Anklicken eines Titelnamens wird sofort der normale Kurs-Chart als Liniendiagramm gezeichnet.

Dies ist das eigentliche Hauptarbeitsfenster von JAMES II. (Übrigens, der Linien-Chart “skaliert” sich selbst, d.h. er paßt sich automatisch der Bandbreite von Höchst- und Tiefstkurs an.)

Bild 1: Die Pull-Down-Menüs im “JAMES II“-Hauptprogramm
Bild 2: Der Programmteil “JAMES-Kontakt“ stellt die Verbindung zur IFA-Datenbank her.
Bild 3: Sehr umfangreiche Menüauswahl im Programmteil “Analyse“

Der Chart erscheint

Im unteren Teil des Fensters ist eine Informationsleiste zu finden, die wichtige Eckdaten der bisherigen Kursentwicklung nennt:

Branche, Höchst- und Tiefstkurs, letzte Dividende. Des weiteren werden daraus die prozentuale Kursänderung, der OVB/ OBS-Standpunkl und der Beta-Faktor errechnet und angezeigt. Dann folgen verschiedene Trendbestätigungsindikatoren (TBI) für 38-, 100-, 200-Tage gleitenden Durchschnitt (GD) sowie für 200/100- und 100/ 38-GD-Relation. Kleine Pfeile (nach oben oder unten) zeigen außerdem den Trend der Indikatoren selber.

Unter dem Menüeintrag “Charts” sind alle Steuerungen zur Einzelanalyse erreichbar. Neben den Linien der gleitenden Durchschnitte werden von dort sogenannte Oszillatoren ausgelöst. Dieses Instrument wird von den meisten “Chartisten” schlichtweg ignoriert. Selbst drei Bücher, die ich zu diesem Thema konsultiert habe, wollten von Oszillatoren nicht viel wissen.

Der Grundgedanke eines Oszillators ist die Stärke von Steigung oder Gefälle der angesprochenen GD-Linie. Die Stärke dieses Ausschlages gibt sehr deutlichen Aufschluß über die Stärke des eingeschlagenen Trends, woraus wiederum die wahrscheinliche Dauer abgeleitet werden kann. Wenn ein Oszillator ausgewählt wird, verschwindet die Informationsleiste im unteren Fensterteil, und der Oszillator-Chart legt sich dort zeitgleich an den Kurs-Chart an.

Zusätzliche Bilder entstehen für OVB/ OVS, Point&Figure, sowie 32-Monate-und RSI-Chart. Gerade die Point&Figure-Charts dienen als erstes Signal auf Kursänderungen. Die waagrechte Linie im Chart Bild stellt nur indirekt eine Zeitachse dar, weil die Einteilung völlig variabel sein darf. Sehr wichtig ist der Korrekturfaktor für den Umkehrpunkt. JAMES II erlaubt die Eingabe einer prozentualen Toleranz.

Beispiel: Eine Aktie erfährt einen Kursverlust von exakt DM 9,99-, und der Umkehrpunkt war auf DM 10 eingestellt, so würde der Kursverlust überhaupt nicht im P&F-Chart berücksichtigt und damit ein völlig falsches Bild abgeben. Die prozentuale Toleranz würde solche Abweichungen auf jeden Fall mit in die Chart-Bildung einbeziehen - hieße also einen Schritt hin zu mehr Realität im Chart-Verlauf. Meines Wissens berücksichtigt kein anderes Programm einen ähnlichen Korrekturfaktor.

Unter “Fremdwährung” ist es möglich, beliebig viele ausländische Kurse in deutsche Währung umrechnen zu lassen. Der Kursverlauf ist nun wechselkursunabhängig, auch die Zahlenangaben in der Informationsleiste ändern sich entsprechend.

Die Fremdwährungslinie im Chart kann nicht nur real, sondern auch invers dargestellt werden. Dies ist besonders wichtig, wenn der Chart nur in der Heimat Währung verfügbar ist.

Mit „Doublette” können beliebig viele Titel transparent über den ersten gelegt werden. Das veranschaulicht sehr schön die Unterschiede ähnlicher Unternehmen aus derselben Branche. Auch könnte man dabei eine Aktie mit einem Index vergleichen lassen, was mögliche Entwicklungen besser deutlich machte.

Bei “Zoom” ändert sich die Darstellungsweise des Linien-Charts wie unter einer Lupe. Der Betrachtungszeitraum ist in monatlichen Schritten wählbar, dies bestimmt den Vergrößerungsfaktor.

Ausführliche Listen

Alle Auswahlpunkte bei “Numerik” betreffen nun alle 100 Aktien einer Wertpapierdatei insgesamt. Die Beschränkung auf 100 Titel pro Datei beschert dem Nutzer einen wesentlichen Punkt der effektiven Arbeit mit JAMES II: die enorme Rechengeschwindigkeit. Normalerweise muß ein eingeschworener Spekulant täglich mindestens 400 Aktien und ca. 50 Optionsscheine beobachten, um einen vernünftigen Überblick über den Gesamtmarkt zu erhalten. Die Geschwindigkeit angesichts dieser Datenmenge würde schnell darunter leiden.

So werden die Verhältnisse der GD-Werte zum zeitgleichen Kurs, der verschiedenen TBIs zueinander sowie Renditen, OVB/OBS, Beta-Faktoren und prozentuale Änderungen in Listenform ausgegeben. Der “Numerik“-Teil ist die wesentliche Voraussetzung, um interessante Titel im “Analyse”-Teil näher zu betrachten. Es findet eine Komplettuntersuchung aller Titel einer Wertpapierdatei statt, mit der herausragende Kursbewegungen sofort erkennbar sind. Denn kaum ein Benutzer würde sich alle hundert Charts einer Datei ansehen wollen.

Interessante Papiere wären z.B., wenn der OVB/OVS nahe der Begrenzungslinien von 100% bzw. 0% läge. Auf Sicherheit bedachte Anleger suchen sich eher Werte mit hoher Renditenrelation heraus. Auch der Beta-Faktor bzw. die entsprechenden Beta-Verhältnisse mit einem Faktor größer als 1 wären für eine Order ins Auge zu fassen. Diese übersichtlichen Listen sind ein wesentlicher Punkt im Gesamtprogramm JAMES II.

Bild 4: So sehen die Anlageempfehlungen der IFA-Datenbank zu bestimmten Titeln aus.
Bild 5: Das Hauptarbeitsfeld im Analyseteil zeigt einen Unien-Chart und verschiedene Indikatoren zu einer Aktie.
Bild 6: Ein Linienchart mit 200-Tage-Oszillator (unten) und Durchschnittslinie (gestrichelt)
Bild 7: Ein OVB/OVS-Chart zeigt für 32 Monate die entsprechende Kauf/ Verkaufmentalität eines Papiers.

Das integrierte Zeichenbrett

Wie im Grundlagenartikel sehr deutlich wurde, arbeiteten die “Chartisten” in der Anfangszeit ausschließlich mit grafischen Analysen. Aus diesen Tagen stammt auch die Deutung von Formationen. Über den Menüpunkt “Zeichnen” können nun vornehmlich Linien (für Trendkanäle. Widerstands- und Unterstützungslinien) und Bögen (für Schultern, Schenkel und Muscheln) in das Bild eingebaut werden.

Sehr gut ist die Funktion “Restaurieren”, mit der die Zeichenarbeit wieder rückgängig zu machen wäre. Auch ist es möglich, zusätzlichen Text in das Chart-Bild einzutragen und (natürlich) das Bild danach abzuspeichern.

5. JAMES-Kontakt

Es macht für den “Privatanleger” wenig Sinn, nur die Kurse SEINER Aktien zu beobachten. Es würden ihm Marktführer, Vorreiter, Ausreißer und Indikatoren entgehen - er würde alsbald mit diesem Hobby (weil sicher sehr verlustreich) brechen und sich anderweitig umsehen.

So gesehen ist es unerläßlich, sich den gesamten Markt, oder zumindest die wichtigsten Titel und Indizes anzusehen und selbstverständlich auch im Rechner präsent zu halten. Aber woher die ganzen Daten nehmen? Spätestens wenn Sie ein paar Tage lang Kurse eingetippt haben, würden Sie die “Macher” von JAMES II in Schutt und Asche verfluchen.

Anders als andere Chart-Analyseprogramme geht JAMES II den Weg über die Datenfernübertragung. Es ist hierbei unerläßlich, daß der JAMES-DFÜ-Nutzer ein Modem besitzt, um die Verbindung zur “IFA-Datenbank” herstellen zu können. “JAMES-Kontakt” ist ein mitgeliefertes DFÜ-Programm, das viele Funktionen und Abfragen automatisiert.

Unter “Aktien laden” können bis zu 25 verschiedene Wertpapierdateien (also maximal 2500 Einzeltitel) geöffnet werden. Dann gibt es drei Wege, Kurse aus der IFA-Datenbank abzurufen:

  1. “Start für Tageskurse” ruft nur die aktuellen Werte eines Tages ab.
  2. “Start für Komplettkurse” holt sich die vollständigen Kursverläufe aus der Vergangenheit.
  3. “Start für Ergänzung” wäre dann interessant, wenn Sie längere Zeit abwesend (z.B. in Urlaub) waren. Dabei erkennt JAMES-Kontakt automatisch, ab wann die fehlenden Kurse nachgetragen werden sollen.

Die Datenbank

Die “IFA-Datenbank” ist eine eigene Mailbox, die gegen eine monatliche Nutzungsgebühr von durchschnittlich DM 49 allen JAMES-Nutzern offensteht. Das wären schon die Kosten einer normalen Tageszeitung mit Börsentafel (wenn Handeingabe der Kurse bevorzugt wird - und wer will das schon jeden Tag tun?). Dazu kommt, daß die historischen Kursverläufe im Preis inbegriffen sind. Da die automatische Kursabfrage durch JAMES 2.0 gesteuert und optimiert wird, dauert die tägliche Mailbox-Sitzung kaum mehr als 30 Sekunden (=2 Ferngesprächseinheiten)!

Die Dienstleistungspalette wird hauptsächlich bestimmt von dem Riesenvorrat an 7000 Kursen, die 3mal täglich aktualisiert werden und bis zu 3 Jahre nahtlos in die Vergangenheit reichen. Des weiteren werden auf verschiedenen “schwarzen Brettern” Börsengerüchte, Wirtschaftsmeldungen und Aktienbesprechungen, Anlageempfehlungen und Hintergrundinformationen abgelegt. Auch diese Informationen sollten bei einer Anlageentscheidung eine Rolle spielen. Auch laufen dort zwei öffentliche Musterdepots, die sehr viel Aufschluß über Aktien und Optionsscheine geben.

Als Bonbon läuft in der IFA-Mailbox auch ein Aktienclub, der sowohl dem Neueinsteiger als auch dem professionellen Anleger Hilfen, Anregungen und Ideen vermittelt. In 7 Monaten seines Bestehens hat der IFA-Aktienclub 27% Gewinn erwirtschaftet.

JAMES II - im großen und ganzen

JAMES II ist das am längsten für den ATARI ST existierende Chart-Analyseprogramm auf dem deutschen Markt. Mit dieser Zeit hat das Programm eine Reife erreicht, die man ihm durchaus anmerkt. JAMES II ist gut durchdacht.

Der Bildaufbau ist extrem schnell. Als angenehm anzumerken ist auch das Handbuch. Zwar ist das Format DIN A4 nicht unbedingt sehr handlich, aber der Inhalt ist klar durchdacht. Besonders mit der Erläuterung der Fachterminologie hat man sich einige Mühe gemacht. Ich hätte mir nur ein paar mehr Bilder darin gewünscht. Der Weg, historische Daten ausschließlich per DFÜ anzubieten, setzt natürlich die Kaufabsicht für ein Modem voraus. Die Entwickler haben sich bestimmt gedacht, daß ein Modem bei einem Computerbesitzer früher oder später ohnehin angeschafft werden würde (was übrigens auch meine ureigene Meinung ist). Bei Erwerb von JAMES 2.0 werden auf Wunsch, gegen Aufpreis, Datendisketten mit historischen Kursdaten angeboten.

JAMES II kostet DM 298,- und ist für DM 10,- als Demoversion erhältlich. Im Komplettangebot mit “BEST”-Modem (1200 bps, 100% Hayes) gibt es JAMES II zum Preis von DM 555,-.

DK

Bezugsquelle:

IFA Köln
Gutenbergstraße 73
5000 Köln 30

Bild 8: Ausführliche Listenausgabe: Hier als Beispiel der 200-Tage-Durchschnitt aller notierten Aktien.


Aus: ST-Computer 02 / 1990, Seite 46

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