Editorial - Emulieren, Simulieren, Nachahmen...?

...Juli 1986. Donnerstag, spät abends. In Hessen 3 kündigt der Moderator einen kanadischen Kabarettisten an. Er wird 45 Minuten lang verschiedene bekannte Interpreter imitieren. Hinter einem Vorhang kann man die Silhouette eines Mannes sehen, die Stimme aber kommt aus der Vergangenheit, es ist nämlich Elvis's Stimme, die 'Love me Tender' singt. Der Höhepunkt kommt ganz am Ende als er Louis Armstrong und Ella Fitzgerald im Duett singen läßt .

...März 1986. Mehrere Tage bei der CeBit in Hannover. Auf der Mattscheibe eines Monitors kann man die Konturen einer Landschaft sowie das Cockpit eines Flugzeuges sehen. Es handelt sich um den Flugsimulator II von Sublogic. Minuten später kann man auf dem gleichen Bildschirm die Herstellung von Rechentabellen mit Hilfe von Multiplan betrachten. Alles geschieht an einem ATARI 520 ST+ mit MS-DOS Emulator .

...Juli 1986. Atlanta, Hauptstadt von Georgia, USA, Schauplatz der Comdex Spring Computermesse. Eine noch nicht marktreife Cartridge, die den ST in einen Macintosh verwandelt, ist die Sensation, die jeder Besucher sehen möchte .

...irgendwann zwischen Ende 1985 und 1986. ATARI Corp., bringt mit seinem CP/M Z80 Emulator einen Hauch Vergangenheit in einen Rechner der Zukunft.

Emulieren, Imitieren, Nachahmen, steckt in der Natur des Menschen. Unsere Vorväter beobachteten die Natur und machten sie nach. Die bloße Imitierung ist aber nicht immer gelungen. Deswegen hat der Mensch, später seine eigene Weglösung gefunden. Genauso ist es mit der Emulation eines Rechners. Bestimmte Vorgänge stehen in direktem Zusammenhang mit der Architektur dieses Rechners. Dies zu simulieren (falls es überhaupt möglich ist), ist immer mit vielen Nachteilen verbunden. Am Ende bleibt nur ein Rechner, der seine eigene Leistung nicht ganz vollbringen und einen anderen Computer nur mühsam emulieren kann. Nachahmung ist immer ein Stück Vergewaltigung, eine halbe Lösung und niemals das Ganze. Der richtige Lösungsweg ist qualitative gleichwertige Software, die die verschiedenen Probleme der Anwender leistungsvoll und bedienungsfreundlicher lösen kann. Ich sitze vor meinem ATARI und lade VIP-Professional. Es kommt mir sehr bekannt vor. Das gleiche Konzept hatte ich bei LOTUS 1-2-3 auf einem IBM-Rechner gesehen. Ich schaue verzweifelt. Nein, stimmt. Es ist keine Emulation. Es handelt sich um einen 520 ST und Original-ST-Software.


Marcelo Merino
Aus: ST-Computer 09 / 1986, Seite 4

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